The Empire strikes back – Rachejustiz bei G20-Prozessen

1. Februar 2019

In Hamburger Gerichtsälen ist zu beobachten, wie im Zuge des allgemeinen Rechtsrucks auch die Justiz immer mehr abkippt. Die Verfahren nach dem G-20-Gipfel 2017 sind geprägt vom Bedürfnis nach Rache für die Tage staatlichen Kontrollverlustes. Das gilt auch für das im Dezember gestartete und bis Mai terminierte Verfahren am Landgericht Hamburg zu den Ausschreitungen an der Elbchaussee, bei dem Mitte Januar die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde.

Das Strafjustizgebäude liegt in Hamburg zentral. Gleich nebenan erstrecken sich die Messehallen, in denen sich die Herrschenden der Welt beim G20 zum Kungeln trafen, auf der andere Seite befindet sich der Gebäudekomplex des Springer-Verlags. Noch ein paar hundert Meter weiter kommen die edlen Hamburger Adressen, Große Bleichen, Neuer Wall usw., mit ihren Luxusläden, schweineteuren Hotels, Nobelrestaurants. Da laufen sie frei herum, die Wirtschaftsanwälte und Banker, die Makler und Investoren. Im Strafjustizgebäude interessiert man sich für die Verbrechen dieser Klientel kaum – hier werden Leute verknackt, die sich gegen das System wehren. Zum Beispiel Can, Loïc und Halil.

Can und Halil aus dem Raum Frankfurt/Offenbach wurden Ende Juni 2018 festgenommen, der Franzose Loic Mitte August in seinem Heimatland, im Oktober wurde er nach Deutschland ausgeliefert. Alle drei sitzen im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis, das sich an das Strafjustizgebäude anschließt. Ein Beitrag auf der Homepage des Bündnisses United We Stand schilderte im Dezember, welchen absurden Schikanen Loic dort ausgesetzt ist. Ein Beispiel: Weil er Vögel an den Gitterstäben seines Fensters mit Brot fütterte, wurde er mit einer Stunde der Isolation bestraft.

Loic sitzt 23 Stunden am Tag allein in seiner Zelle, nur zwei Stunden pro Monat darf er Besuch empfangen. „In der desinfizierten Box, in der ein langer Tisch das Umarmen verhindert, gibt es zwei Spitzel, einen französischsprachigen Dolmetscher und einen Polizisten, der den Fall von Grund auf kennt“, heißt es in dem Text. „Ein Wort zur G20 oder ihrer zukünftigen Verteidigungslinie und der Besuch ist beendet.“ [Näheres unter unitedwestand,blackblogs.org.]

Am 18. Dezember begann der bis Mai terminierte Prozess gegen Loic, Can und Halil und zwei weitere Angeklagte, die nicht in U-Haft sitzen, weil sie zur Tatzeit noch minderjährig waren. Dort bot sich dasselbe groteske Bild: Sicherheitsschleusen, eine kugelsichere Trennscheibe zwischen Zuhörerraum und Gerichtssaal. Ein Setting wie bei einem Mafiaprozess und genauso will der Staat es transportieren: Das sind Schwerverbrecher, diese Fünf.

Es gibt also reichlich Gründe, um in diesem Verfahren solidarisch an der Seite der Angeklagten zu stehen. Und selbstverständlich ist zu begrüßen, dass das Bündnis United We Stand das Schicksal der drei Inhaftierten und den Fortgang des Prozesses nicht nur mit Texten auf ihrer Homepage, sondern auch mit direkten Aktion, etwa mit einer Demo von einigen hundert am Vorabend des ersten Verhandlungstages oder mit Präsenz im Gerichtssaal – nach dem Ausschluss der Öffentlichkeit zumindest vor dem Gerichtsgebäude, begleitet.

Ausgerechnet diese große Solidarität linker Unterstützende wendete die Kammer unter dem Vorsitz von Anne Meier-Göring am 15. Januar in absurder Verkehrung gegen Verteidigung und Angeklagte. Man wolle Druck aus dem Verfahren nehmen, so die Begründung für den Öffentlichkeitsausschluss, den der Staatsanwalt beantragt hatte. Die Kammer verwies auf den Jubel und Beifall für die Angeklagten im Gerichtssaal am ersten Tag, auf Texte von United We Stand und der Roten Hilfe. Den beiden zur Tatzeit noch Minderjährigen drohe „Einschüchterung und Stigmatisierung“, wenn sie sich anders äußerten, als die Unterstützer es von ihnen erwarteten.

Das Jugendgerichtsgesetz sieht die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit vor, wenn es „im Interesse der Erziehung“ von Angeklagten ist. Die Kammer sprach denn auch in ihrer Begründung von drohenden „erziehungsschädlichen Einflüssen“. In solchen Formulieungen tritt ein pädagogisches Denken zu Tage, das noch aus der Prägung des Jugendstrafrechtes in der Nazizeit stammt. Wenn es etwas gibt, das die persönliche Entwicklung der beiden inzwischen ja volljährigen Angeklagten belastet, wenn es etwas gibt, das sie einschüchtert und stigmatisiert – dann ein Verfahren, in dem sie auf einen zähnefletschenden Staat treffen, der sie wie Schwerkriminelle behandelt.

Dabei hat die Staatsanwaltschaft nichts gegen die Fünf in der Hand. Sie meint, ihnen nachweisen zu können, dass sie am Morgen des 7. Juli 2017, dem ersten Tag des G-20-Gipfels, in Altona anwesend waren. Dass sie zu den rund 220 Aktivisten gehörten, die von der Luxusmeile Elbchaussee zur Einkaufsstraße Große Bergstraße zogen, einige Autos in Brand setzen und für Glasbruch bei Banken, Filialen großer Ketten und dem Möbelhaus Ikea sorgten.

Allein die Anwesenheit im Aufzug soll, wie schon im Verfahren gegen den Italiener Fabio V., ausreichen, um Halil, Can und Loic für Jahre in den Knast zu schicken. Die Staatsanwaltschaft versucht zu vollenden, was ihr bei Fabio nicht gelang: Eine juristisch äußerst umstrittene Konstruktion durchzusetzen, eine Art Sippenhaft nach der Devise „Mitgegangen, mitgehangen“. Weil sie sich von den Straftaten nicht entfernten, sollen sie in Mitverantwortung genommen werden.

Das Verfahren hat für Polizei und Staatsanwaltschaft deshalb eine so große Bedeutung, weil der Kontrollverlust während G20 zu keiner Zeit und an keinem Ort deutlicher war als an diesem Morgen des 7. Juli 2017 in Altona, mal abgesehen von der Nacht darauf im Schanzenviertel, wo die Polizei die Ausschreitungen allerdings ein Stück weit evoziert hat. Trotz der mehr als 30.000 Polizist*innen in der Stadt konnte sie den Zug von der Elbchaussee zur Großen Bergstraße nicht stoppen. Die Beamten waren in der Mehrheit damit beschäftigt, die Protokollstrecken der Mächtigen zu bewachen.

Diese Momente des Kontrollverlustes im Besonderen aber auch die Proteste bei G20 insgesamt stellen eine Niederlage und eine Schmach für die Repressionsbehörden dar. Und nur so ist der Verfolgungsfuror zu begreifen, den die Sonderkommission „Schwarzer Block“, mittlerweile zu einer Ermittlungsgruppe abgeschmolzen, an den Tag legte, um jeden und jede zu jagen, die bei dem Gipfel auch nur in der Nähe von Vermummten war.

Vom ersten grotesk harten Urteil in einem G-20-Verfahren im August 2017 an – 31 Monate Haft ohne Bewährung für den Niederländer Peike S. für einen Flaschenwurf, der niemanden verletzte – ist das Handeln von Polizei und Justiz in Sachen G20 geleitet vom Drang, den Kontrollverlust im Juli 2017 im Nachhinein wett zu machen, dem Bürger zu signalisieren: Wir sorgen für Recht und Ordnung. Auch das Signal nach links liegt auf der Hand: Wer sich mit uns anlegt, muss sich warm anziehen. Im Fall von Peike S. wurde das Urteil nun im Berufungsverfahren deutlich abgeschwächt. Anstelle der 31 Monate Knast stehen nun 21 Monaten auf Bewährung.

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# Kristian Stemmler
# Titelbild Willi Effenberger 06.07.2017, Hamburg

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