Plötzlich sitzt du im Knast

18. Februar 2019

Auf Facebook hat am Wochenende ein Posting die Runde gemacht. Eine Frau aus Schleswig-Holstein berichtet darin von der Verhaftung ihres Sohnes in Bayern. Der Grund für die Verhaftung: eine angebliche Falschaussage. Wir sind der Sache nachgegangen.

Stell dir vor: Du bist Anfang 20, bist auf dem Weg von Kiel in den lang ersehnten Urlaub nach Italien. In Bamberg in Bayern machst du einen Zwischenstopp. Du übernachtest bei einer Freundin, gehst mit ihr am Abend noch etwas trinken. Im Laufe des Abends hört ihr einen Streit zwischen zwei Männern. Der eine Mann beleidigt den anderen rassistisch, du mischt dich ein, kannst aber nicht schlichten. Später siehst du, wie einer der beiden auf dem Boden liegt. Du stellst dich der Polizei als Zeuge zur Verfügung. Du bist in diesem Moment schockiert, im Laufe der kommenden Monate musst du immer mal wieder an die Situation denken, aber dein Leben geht weiter.

Anderthalb Jahre später steht bei dir in Kiel die Kripo vor der Tür. Die Beamten überbringen dir persönlich die Zeugenvorladung bei einem zwei Tage später stattfindenden Gerichtsprozess. Für dich ist das alles sehr kurzfristig. Du klärst das Notwendige, rufst bei der Berufsschule und deiner Ausbildungsstelle an, versuchst das Gericht in Bamberg zu erreichen, um herauszufinden, ob deine Zeugenaussage so entscheidend ist, dass du quer durch Deutschland mit dem Zug fahren musst. Du fährst hin, machst mit deiner Mutter aus, dass du dich nach der Verhandlung bei ihr zu meldest. Danach willst du wieder zurück nach Hause. Doch daraus wird nichts. Im Gericht machst du deine Aussage – doch die gefällt anscheinend dem stellvertretenden Oberstaatsanwalt nicht, der die Anklage vertritt. Er lässt dich wegen Falschaussage einem Ermittlungsrichter vorführen, der dich direkt wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft nimmt.

Mittlerweile fünf Zeug*innen im Knast

Was wie eine schlecht geschriebener Till-Schweiger-Krimi klingt, ist vergangene Woche Robin F. widerfahren und außer ihm noch vier weiteren Zeug*innen im selben Verfahren. Das berichtet auf Facebook Robins Mutter. Ein Freund von Robin hat sich an uns gewandt, um in der Sache zu recherchieren. Wir telefonieren mit der aufgebrachten Mutter. Sie hat inzwischen Kontakt mit den Eltern einer anderen Zeugin, die jetzt ebenfalls wegen vermeintlicher Falschaussage im Knast sitzt. Ihre Eltern haben Robins Mutter erzählt, dass ihr Sohn im Gerichtssaal sehr souverän und glaubwürdig wirkte. „Es ging ein fassungsloses Raunen durch den Gerichtssaal, dass dieser junge Mensch jetzt festgenommen wird“, sagt Robins  Mutter am Telefon.

Robins Mutter möchte ihren Sohn besuchen – doch darf es nicht, denn der stellvertretende Oberstaatsanwalt hat den Besuchsschein abgelehnt. Nur ganz kurz, direkt nach dem Prozess, darf Robin mit seiner Mutter sprechen. Robin erzählte ihr damals, am Morgen nach der Schlägerei, bevor er nach Italien weiterfuhr, was er am Abend zuvor erlebt hatte. Ihre Erinnerungen an das Gespräch sind äußerst vage und sie möchte sich auch keinesfalls auf Details festlegen. „Ich habe ja nicht gewusst, dass ich mir das merken muss”, sagt sie. Aber damals schilderte ihr Sohn es ungefähr so: „Er hat von einem Türken erzählt und von einem ‚Fascho‘. Ich glaube es war so, dass die vor einem Club in Bamberg standen und Robin bekam mit, wie dieser ‚Fascho‘ diesen Türken beleidigt hatte. Daraus schloss er, dass er rechts orientiert war, weil der eben so rassistische Äußerungen machte. Robin ist dann aber weitergegangen und hat dann aus der Ferne irgendwann diesen ‚Fascho‘ am Boden liegen sehen.“

Anwalt ist schockiert über die bayerische Justiz

Mittlerweile hat Robin einen Anwalt. Die Frage, was Robin genau gesehen hatte oder auch nicht, ist für Rechtsanwalt Smollich, den Anwalt der Familie, erst einmal zweitrangig. „Selbst wenn die Aussage falsch gewesen sein sollte, wohlgemerkt Konjunktiv, dann wäre das ein Aussagedelikt, was mit einer Geldstrafe zu belegen ist und keinesfalls eine Untersuchungshaft rechtfertigen würde“, sagt er am Telefon. Auf die Frage, ob Zeug*innen aus so einer Situation heraus – und ohne sich selbst einer schweren Straftat zu bezichtigen – rechtlich in Untersuchungshaft landen können, antwortet der Anwalt kurz: „Eigentlich nicht.“

Zum Fall selbst kann Smollich mangels Akteneinsicht noch nichts Genaueres sagen. Er ist aber schockiert über die Vorgänge bei der bayerischen Justiz. Er geht auch schon vor Akteneinsicht davon aus, dass mittels eines Haftprüfungsantrages und einer Haftbeschwerde Robins Untersuchungshaft innerhalb kurzer Zeit aufgehoben wird. Für Robins Mutter ist die Situation dennoch schwierig. „Dieses Gefühl, dass man nicht einmal weiß, wie es dem eigenen Kind geht, dass ist echt psychische Folter“, sagt sie. Mittlerweile hat mit Robin ein Seelsorger gesprochen. Dieser meldete sich nach dem Gespräch mit Robin bei seiner Mutter: „Jetzt habe ich zumindest die Info, dass mein Sohn noch lebt.“

Weder die zuständige Staatsanwaltschaft noch die Kripo standen bis zur Veröffentlichung dieses Artikels für einen Kommentar zur Verfügung. Wir bleiben weiter dran an dem Fall.

#Titelbild: Danipuntocom/CC BY-NC 2.0

Schreibe einen Kommentar Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

13 Kommentare

    Dagmar Doppler 18. Februar 2019 - 23:47

    Dieser Staatsanwalt ist berühmt für seine Vorverurteilung. Selbst vor einem angesehenen Doktor macht er keinen Halt, wenn er sich dadurch inszenieren kann. Dabei war die Zeugin noch nicht einmal sicher, ob sie sogar selbst Sex wollte. Nein – der Kerl kennt kein Erbarmen.

    Irgendwer muss diesem Mann die Grenzen zeigen.
    https://www.infranken.de/regional/bamberg/bamberger-sandstrassen-prozess-mutter-ist-empoert-ueber-festnahme-ihres-sohnes;art212,4061822?fbclid=IwAR037EfbR_1mTnoAwCqd1UHyhYm3vXR4qHQ8736viCoqCdC8rA-0KszHcf4

    Karl Quarks 19. Februar 2019 - 14:37

    Schlecht recherchiert. Zwei wichtige Infos fehlen nämlich komplett, hätte man schnell rausfinden können, wenn man im Gericht gewesen wäre oder wenigsten da angerufen hätte:

    1) Der Verprügelte lag nach Schädelbasisbruch vier Wochen im Koma, hat seinen Geruchssinn verloren und ist auf einem Ohr taub.

    2) Der Typ aus Kiel ist auf einem Video zu sehen, wie er die Schlägerei aus zwei Metern Entfernung beobachtet und mitfiebert (also in die Luft boxt und auf den Boden tritt). Dass man sich nach einenhalb Jahren nicht an alles erinnern kann, ist klar. Aber an nichts ist doch sehr unwahrscheinlich.

    Vielleicht war der Verprügelte ein Arsch, vielleicht hat er sogar eine auf die Fresse verdient. Aber Schädelbasisbruch ist dann schon ein Verbrechen und sollte aufgeklärt werden, oder nicht?

    So macht Ihr Journalismus nicht zum Threat, sondern lächerlich! Echt schade, ich hätte mich über guten linken Journalismus von der Straße für die Straße sehr gefreut. Aber dasselbe wie die rechten Deppen zu machen, nämlich einseitig berichten wie es gerade passt, ist einfach scheiße.

    lowerclassmag 19. Februar 2019 - 19:05

    Hallo Karl,

    Wie dem Artikel zu entnehmen ist, stand von den Behörden bis zur Veröffentlichung niemand für ein Kommentar zur Verfügung. Von dem Video, was du beschreibst, wissen wir nichts und finden auch keins. Letztendlich wäre es für den Inhalt des Artikels auch bestenfalls zweitrangig, denn es geht in keinster Weise um die eigentliche Tat und wer wem was angetan haben soll, sondern darum, wie mit Zeug*innen verfahren wird. Das erklärt ja auch der Anwalt: selbst WENN (Konjunktiv) es eine Falschaussage GÄBE, wäre das in keinster Weise eine Rechtfertigung für eine Untersuchungshaft.

    Beste Grüße
    Karl Plumba, Redaktion

    lowerclassmag 19. Februar 2019 - 21:57

    Hallo Jan,

    In dem Artikel ist die Rede von einem Video, welches zeigen soll, wie “einige” in der Nähe des Angriffs standen. Konkrete Personen werden nicht genannt und noch einmal:
    Es ist völlig irrelevant für den beschriebenen Fall. Selbst WENN die Betroffenen allesamt falsch ausgesagt HÄTTEN, würde das keine Untersuchungshaft rechtfertigen, sondern ein Bußgeld.

    Viele Grüße
    Karl Plumba, Redaktion

    Blauer Käfer 19. Februar 2019 - 19:44

    Hast du dazu Quellen? Ich würde dazu gerne mehr erfahren.

    SRG 19. Februar 2019 - 9:31

    Könnte das etwas mit dem Polizeigesetz zu tun haben?

    Johannes 20. Februar 2019 - 16:18

    Ich finde es unfassbar wie unreflektiert über diesen Fall berichtet wird. Wir alle haben keine ausreichenden Infos um darüber urteilen zu können ob er rechtmäßig in U-Haft sitzt oder nicht. Wenn man eine Falschaussage macht, dann ist dies in Deutschland strafbar und hat nichts mit dem PAG zutun. Dass Zeug*innen in dem Gerichtssaal verhaftet werden, ist selten, aber nicht rechtswidrig. Dass Zeug*innen wegen Verdacht auf Absprache Kontaktverbote zu Freund*innen und Familien bekommen ist eine logische Konsequenz um Verdunklungs- und Fluchtgefahr zu vermeiden.
    Ich finde die Art und Weise wie über diese Sache berichtet wird hat BILD-Zeitungs-Niveau und wird sehr einseitig gehalten. Man sollte einfach mal abwarten wie das Urteil ausfällt und sich als Linke Newseite nicht alles unter den Nagel reißen was im entferntesten Sinne was mit Polizeigewalt zu tun hat. Diese Form von linkem Journalismus kann im Zweifelsfall sehr negative Folgen für die linke Szene haben.
    Liebe Grüße, Johannes

    lowerclassmag 20. Februar 2019 - 20:45

    Hallo Johannes,

    Da deckt sich deine Einschätzung darüber, was logische und legale Konsequenzen von vermeintlichen Falschaussagen sind nicht mit der vom Anwalt.

    Viele Grüße
    Karl Plumba

    Katharina Hoffmann 21. Februar 2019 - 13:00

    Schaut doch mal selber ins Gesetz, anstatt blind auf das zu hören, was irgendein Anwalt sagt. In der Strafprozessordnung ist klar geregelt, was legal ist.
    In § 112 Abs. 2 Nr. 3
    (Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe) steht doch, dass es ein legales Rechtsmittel ist jemensch in Untersuchungshaft zu nehmen, wenn ansonsten die Gefahr besteht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird (Verdunklungsgefahr). Auch § 112 Abs. 2 Nr. 3a (Falschaussage) ist im Gesetz als Haftgrund ausgeschrieben.

    Marianne Enzensberger 21. Februar 2019 - 9:41

    Ich hätte es trotzdem besser gefunden, wenn der Artikel auch die Schwere der Verletzungen und deren Folgen berichtet hätte.Dass Rassisten in Bamberg laut sein können und widerwärtig- schlimm. Dass die Zeugen verhaftet wurden, schlimm. Aber als Journalist ALLES berichten, auch die Tatsache, was solche Schlägereien verursachen können. Am Ende fliegen die Sympathien zu dem möglichen Rassisten. Das kann nicht gewollt sein und ist zu verhindern durch die Beschreibung aller Infos, auch wenn sie herumschwirren. Man kann immer mit Zitaten und Konjunktiven arbeiten. So jedenfalls erreicht der Artikel eher das Gegenteil oder verursacht eine Verunsicherung. Nicht gut, eine derartige Ergänzung in einem Kommentar lesen zu müssen

    Maja 21. Februar 2019 - 13:15

    Es sollte endlich beachtet werden, um was es hier eigentlich geht. Ein Mensch wurde beinahe zu Tode geprügelt und trägt bleibende Schäden davon. Auch dieser Mensch hat Angehörige, welche den Fall endlich abgeschlossen sehen wollen. Ob sich die Zeug*innen nun abgesprochen haben oder nicht, der Verdacht reicht, um diese festzuhalten, um die Gefahr weiterer Absprachen zu begrenzen.

    Troll hunting Grammar-Nazi 21. Februar 2019 - 20:36

    Sollte es der Tatsache entsprechen dass Robin der Tat zu sah ohne einzugreifen ist das ime mindestens unterlassene Hilfeleistung, und es ist mir schei*egal welcher politischen, geschlechtlichen oder staatlichen Angehörigkeit die Beteiligten zugeordnet sind.
    Wenn jemand wirklich ‘eine auf’s Maul verdient’ -o.k., darüber kann man von Fall zu Fall diskutieren- aber jemanden in’s Koma zu prügeln geht überhaupt nicht klar.