Cemil Bayik ist Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Co-Vorsitzender des Exekutivrats der Koma Civakên Kurdistan (KCK). Im ersten Teil des Interviews spricht er über den Abzug der US-Truppen aus Syrien, das Kopfgeld der USA, das auf Murat Karayilan, Duran Kalkan und ihn ausgesetzt wurde, und die Eskalation der Iranpolitik der USA.
An erster Stelle drängt sich die Frage auf, was der Abzug der US-Truppen aus Syrien für die Lage in der Region bedeutet. Wie beurteilen Sie diesen Rückzug? Ändert sich, wie viele westliche Medien analysieren, die US-Strategie für den Mittleren Osten?
Tatsächlich haben sich seit der Golfkrise von 1990/91 und dem anschließenden Krieg erhebliche Veränderungen in der gesamten Welt und im Nahen- und Mittleren Osten ergeben. Der Zerfall der ehemaligen Sowjetunion, und die neue Weltordnung, mit einer neuen Strategie der USA bilden dabei den Rahmen. Die USA haben zwar auf globaler Ebene Politik gemacht, jedoch war der Mittlere Osten stets im Fokus ihrer Aktivitäten.
Die USA versuchten mit dem ersten Golfkrieg den Mittlere Osten zu kontrollieren. Gleichzeitig sollte mit dem Krieg in Südkurdistan die kurdische Freiheitsbewegung dort gestoppt werden. Nach den Anschlägen vom 11. September durch Al-Qaida begann mit den Kriegen gegen Afghanistan und den Irak ein neuer Angriff gegen den Mittleren Osten. Hierbei handelt es sich um eine direkte Intervention. Ziel war es, die am stärksten mit Widersprüchen und Konflikten geprägten Orte wie Afghanistan und Irak unter direkte Kontrolle der USA zu bringen. Die US-Politik in den 90er Jahren sah vor, den kurdischen Freiheitskampf aus Südkurdistan herauszuhalten und in Nordkurdistan einzukreisen. So kam es zum internationalen Komplott gegen den Vorsitzenden Abdullah Öcalan mit der Absicht, die PKK, die kurdische Freiheitsbewegung zu vernichten und so den Genozid an den Kurden zu vollenden.
In diesem Zusammenhang waren wir mit intensiven Angriffen konfrontiert. Da sie mit diesen Angriffen nur mäßigen Erfolg hatten und es im Mittleren Osten zu neuen Entwicklungen kam, stagnierte die US-Strategie in dieser Beziehung. Erst mit den Volksaufständen in der arabischen Welt ab 2010 hat sich ein neuer Prozess entwickelt. Vom Sudan bis Ägypten verbreiteten sich die Aufstände wie ein Lauffeuer in alle arabischen Länder und konzentrierten sich schließlich auf Syrien. Hier kam es zu einem größeren Konflikt. Die Eingriffe der USA, der Türkei und einiger anderer Ländern in Syrien sind seit 2011 eigentlich erfolglos geblieben. Speziell die Intervention durch die Muslimbruderschaft, die sich mit den bewaffneten Kräften der Freien Syrischen Armee (FSA) verbündete, brachte kein Ergebnis. Das Bündnis zerfiel sogar in seine Einzelteile.
Genau in diesem Moment tauchte eine neue Angriffsgruppe auf, die sich Islamischer Staat nannte. Es wurde gesagt, ihre Angriffe hätten das Ziel den Irak und Syrien in drei Teile zu spalten. Die Anschläge begannen in Mossul und bedrohten bald Bagdad. In Syrien griffen sie Raqqa an und wurden zu einer Gefahr für Damaskus. Im Endeffekt wurden sie davon abgehalten in Bagdad und Damaskus einzumarschieren und ihr Blick wurde auf Kurdistan gerichtet. In Südkurdistan waren es die Orte Shengal, Machmur, Erbil und Kirkuk. Später richtete der IS seine Waffen auf Rojava, ab dem 15. September 2014 speziell auf die Stadt Kobanê. Mit dem IS sollte der Völkermord an den Kurden zu Ende gebracht werden.
Dagegen entwickelte die von der PKK angeführte Guerillabewegung in Shengal und Machmur einen bedeutsamen Widerstand. Dieser Widerstand wurde nach dem 15. September zu einer Verteidigungskampagne gegen die Angriffe auf Kobanê, aus der später in ganz Kurdistan eine Verteidigung der Kurden und der Revolution in Rojava entstand.
Nachdem die PKK in Shengal und Machmur den IS bezwang und auch in Kobanê – wenn auch mit einiger Mühe – die Angriffe des IS zurückschlagen konnte, entschlossen sich die USA und anderen Großmächte in Anbetracht der neuen Lage, eine gemeinsame Allianz gegen den IS zu organisieren, um diesen Widerstand zu unterstützen.Als Bewegung haben wir dies als bedeutsam und wertvoll angesehen. Wir haben diese umfassende Koalition, die in solch einem Rahmen entstanden ist, als gemeinsame Haltung gegen Faschismus bewertet.
Den Freiheitskräften Rojavas ist es gelungen, dies mit behutsamer Politik in ein Bündnis zu verwandeln. Die Anti-IS-Koalition ist so entstanden. Dieses Bündnis trug zur Rettung des Stadtzentrums von Kobanê im Januar 2015 bei. Im Mai wurden auch die ländlichen Gebiete der Stadt befreit. Der IS-Faschismus erlitt hier seine erste große Niederlage. Es blieb nicht nur bei Kobanê, auch in Nord- und Ostsyrien schlugen die Koalitionskräfte zu, um einen endgültigen Sieg über den IS zu erlangen. Am 18. Oktober 2017 wurde die selbsternannte Hauptstadt des IS, Ar-Raqqa, befreit. Dies versetzte dem IS den Todesstoß, denn mit der Niederlage in seiner Hochburg verlor er seine politische und militärische Stärke. Dieser historische Sieg war durch die Anti-IS-Koalition möglich und die Kurden schrieben diesem Bund wahrlich eine große Bedeutung zu.
Ferner trugen sie die schwerste Last in diesem Kampf. Sie mobilisierten weit über Kurdistan hinaus ihre eigenen Kämpferinnen und Kämpfer um die arabischen Gebiete von dem IS-Faschismus zu befreien. Sie scheuten sich nicht, ihre Töchter und Söhne in diesem Kampf als Märtyrer fallen zu sehen. Die USA nahmen zwar ab Ende 2014 an der Anti-IS-Koalition teil, spielten aber ein doppeltes Spiel. Am 22. Juli 2015 gab es ein Abkommen zwischen den USA und der Türkei, das die Türkei angeblich zu einem Mitglied der Anti-IS-Koalition machte. Doch die Türkei nahm in Rojava und dem Rest Syriens niemals an Kämpfen gegen den IS teil. Es ging nur um ein bilaterales Abkommen zwischen den USA und der Türkei. Es war kein Bündnis gegen den IS, sondern eine Abmachung um der Türkei den Weg für Angriffe auf die PKK freizumachen. Schließlich bombardierten am 24. Juli 2015 türkische Kampfjets Stellungen der PKK. Es gab Luftangriffe auf Kurdistan und auf Streitkräfte, die gegen den IS eingesetzt waren. Von da an wurde die Vortäuschung falscher Tatsachen ganz offensichtlich.
Sie haben eine Fake-Koalition gegen den IS geformt. Kein anderer Staat hat sich dieser angeschlossen. Sie ist als Bündnis zwischen der USA und der Türkei entstanden. Als dann im Oktober 2017 Ar-Raqqa befreit wurde und der IS dort besiegt wurde ist es allmählich zu einer Schwächung der Koalition, die mit dem Kampf gegen den IS gegründet worden war, gekommen. Anstatt sich der Koalition, die gegen den IS kämpft, zuzuwenden und sich dort zu vertiefen, haben die USA die Anti-PKK-Koalition bevorzugt.
Alle Übergriffe auf die PKK und die Massaker in Kurdistan, die die türkische Regierung in diesem Zeitraum ausführte, fanden mit dem Einvernehmen und der Unterstützung der USA statt. Außerdem setzte die Türkei ihre Beziehungen mit dem İran und Russland ein, um weiteren Druck auf die USA auszuüben. Der Rückzug der US-amerikanischen Kräfte aus Syrien und Rojava ist also tatsächlich Ergebnis eines Prozesses, der schon 2015 begonnen hat.
Die USA haben nie einseitig gehandelt. Diese Alternative haben sie sich immer offen gehalten. Der Rückzug der US-Truppen aus Syrien ist dementsprechend keine große Sache. Die Vereinigten Staaten sind tatsächlich wegen des Widerstands gegen den IS nach Syrien gekommen. Der kurdische Widerstand brachte US-Aktivitäten in Syrien mit sich.
Die USA nahmen nur mit ihren Luftstreitkräften am Krieg teil, sie hatten keine nennenswerte militärische Präsenz dort, auch keine effektiven Bodentruppen. Es sind die Demokratischen Kräfte Syriens, die mit ihren Bodentruppen die Verteidigung des Landes durchführten. Verkörpert wurden diese durch die YPG/YPJ, deren kurdische Widerstandskämpferinnen und -kämpfer die Vorherrschaft in dem Gebiet erlangten. In diesem Sinne ist es nicht so, als würde durch den Rückzug der US-Soldaten eine Lücke entstehen, die gefüllt werden müsste. Das eigentliche Problem ist die Frage, in welcher der beiden Koalitionen die USA weiterhin anwesend sein werden. Es scheint, als ob sie sich der Pseudo-Anti-IS Allianz mit der Türkei zuwendet.
Die Vereinigten Staaten sind im Mittleren Osten eine signifikante Macht, die sich nicht einfach zurückziehen kann. Insbesondere das Pentagon ist besorgt, dass mit solch einem Rückzug militärische Aktivitäten im Mittleren Osten nicht mehr möglich sein könnten. Der US-Präsident hat andere, innenpolitische Prioritäten. Bei den Midterm-Wahlen im November 2018 hat die den Präsidenten stellende Republikanische Partei eine Niederlage im Repräsentantenhaus erlitten. Die Perspektive für die in zwei Jahren stattfindenden Präsidentschaftswahlen sind eher schlecht, deshalb wird die Politik umgestaltet. Präsident Trumps Aussage, dass er Truppen zurückziehen wird, ist an das US-amerikanische Volk gerichtet. Es ist Wahlpropaganda und soll Eindruck machen.
Außerdem wird mit dem Rückzug das Bündnis mit der Türkei gestärkt. Russland hat den Konflikt zwischen der Türkei und den Vereinigten Staaten geschürt. Die USA versuchen diese Taktik Russlands zu neutralisieren, indem sie ihre Beziehung zur Türkei stabilisieren.
Sehen Sie Verbindungen zwischen dieser Strategie und dem Kopfgeld, das von den USA auf Sie, Murat Karayilan und Duran Kalkan ausgesetzt wurde?
Mit dem Kopfgeld und dem verstärkten Embargo gegen den Iran, die beide Ergebnis eines Gesprächs des amerikanischen Außenministers mit der türkischen Regierung sind, versuchen die USA ihre Beziehungen mit der Türkei zu festigen, den Irak und die Türkei auf ihre Seite zu ziehen, die Kurden ebenso dem hinzuzufügen und somit den Druck auf den Iran zu erhöhen. Darum stärken sie auch dem kurdenfeindlichen, faschistischen AKP-MHP-Regime den Rücken. Das ist die Gelegenheit für die Türkische Republik und den derzeitig regierenden Erdoğan-Bahceli-Bund ihre historisch anti-kurdische, völkermörderische Strategie wirksamer in die Praxis umzusetzen.
Zum einen intensiviert das türkische Regime die Übergriffe auf das kurdische Volk und die Freiheitskämpfer in den Medya Verteidigungsgebieten (Südkurdistan). Zum anderen versucht es die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) als Terroristen darzustellen und sie zu eliminieren um die Revolution in Rojava aufzuhalten. Wie mit dem Besatzungskrieg gegen Afrin am 20. Januar 2018 sollen außerdem nun die Besatzungspläne für Manbidsch, Kobanê, Tall Abyad und Rojava in die Tat umgesetzt werden. Man kann also nicht sagen, dass sich die USA aus Syrien oder dem Mittleren Osten zurückziehen. Viel eher ändern sie ihre Taktik und distanzieren sich von der siegreichen Anti-IS-Koalition. Jetzt stellen sie sich auf die Seite des AKP-MHP-Regimes, welches die Kurden, die die Speerspitze bei der Bekämpfung des IS waren, attackiert.
Europäische Länder wie Deutschland, Frankreich und England kritisierten diese Entscheidung. Auch innerhalb der Vereinigten Staaten; beim Pentagon, dem Außenministerium und dem Senat wurde Kritik laut. Das setzte die US-amerikanische Regierung unter Druck und nach einigen Tagen beschwichtigte sie mit Versprechen, die Kurden zu beschützen und den Rückzug langsam stattfinden zu lassen. Diese Aussagen sind inkonsistent und unbeständig. Ihre Haltung ist manipulativ, pragmatisch und widersprüchlich. Sie halten sich nicht an Allianzen und Partnerschaften und treffen eigensinnige und unabgesprochene Entscheidungen.
Die Übereinkunft mit der AKP-MHP Regierung ist wie Bündnis mit dem IS oder Al-Qaida. Denn der IS wurde durch die Türkei unterstützt, bei der Al-Qaida in Syrien handelt es sich um eine Organisation der AKP-MHP. In Idlib hat die Al-Nusra Front die Kontrolle übernommen. Diese ist der syrische Arm von Al-Qaida. Sie wird von der AKP-MHP geschützt und genährt. Sie haben sie in Idlib an die Macht gebracht. Das sind die Bündnispartner der USA. Angeblich hat die USA zuvor im Bündnis mit den Kurden gegen diese Art von Gruppen gekämpft. Jetzt geht sie ein Bündnis mit der Türkei ein. Das kommt einer Unterstützung von Al-Qaida oder dem IS gleich. Das kommt einer Kriegserklärung gegen die Kurden, die gegen den IS gekämpft haben, gleich. Es heißt die USA würden sich so verhalten, um die Türkei gegen den Iran zu benutzen. Im Gegenzug will der türkische Staat die USA in ihrem Genozid gegen die Kurden benutzen. Das sind Interessenbeziehungen, die auf gegenseitiger Ausnutzung beruhen. Dazu scheinen sich die USA entschieden zu haben. Das wäre natürlich aus Sicht der Entwicklungen im Mittleren Osten falsch und gefährlich. Mit dieser Haltung kann der Krieg im Mittleren Osten nicht enden und der Faschismus nicht besiegt werden. Im Gegenteil werden Völkermorde, Kriege, Auseinandersetzungen und Konflikte unvermindert weitergehen. Zu Ende gedacht kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass die USA den Krieg nicht beenden und auch keine Stabilität haben wollen. Ganz im Gegenteil: die Konflikte sollen sich fortsetzen und vertiefen, Auseinandersetzung, Krieg und Chaos soll andauern, damit sie ihre Herrschaft weiter führen können.
Es fällt auf, dass die USA mit der Aussage, sich aus Syrien zurückzuziehen zugleich noch aggressivere Töne in Richtung Iran anschlagen. Wie beurteilen Sie diese Zuspitzung? Rüsten sich die USA für einen Krieg gegen den Iran?
Die USA haben den Iran und Syrien zur Achse des Bösen erklärt. Um die Achse des Bösen bekämpfen zu können, wollten sie sich seit 2006 mit dem Irak und der Türkei verbünden und die Kurden auch auf ihrer Seite haben. Diese Strategie wurde nach den Wahlen in den USA 2006 von einer Kommission aus Republikanern und Demokraten ausgearbeitet. Dann haben sie begonnen, jede Kraft, die ein Hindernis für diese Strategie darstellt, zu zerstören. Eine Kraft war der Generalstab der Türkei, die Linie von Yaşar Büyükanıt und İlker Başbuğ. Diese Linie wurde zerstört, in dem man sie hat gegen die PKK kämpfen lassen. Auf der anderen Seite fürchteten sie die PKK. Sie sahen, dass die PKK verhindern würde, dass die Kurden, entsprechend ihrer Strategie, an diesem Bündnis teilnehmen. Deshalb wollten sie wollten die PKK schwächen, was jedoch nicht gelungen ist. Im Gegenteil, die PKK ging aus dem Krieg 2008 gestärkt hervor. Dann begann der Syrien-Konflikt und dominierte das Geschehen. Zu Beginn bevorzugten sowohl die USA als auch die Türkei die Muslimbruderschaft und versuchten, jeder für sich, sie als FSA zu organisieren. Als sich jedoch der ägyptische Arm der Bruderschaft aktiv gegen die amerikanische Politik stellte und Ägypten dabei als politisches Feld nutzen wollte, änderten die USA ihre Strategie. Der Militärputsch gegen die Regierung in Ägypten war die Folge. Auch die Syrienpolitik änderte sich. Man sah, dass die auf den Muslimbrüdern basierende Politik gegen die Baath-Regierung keine Ergebnisse bringen würde. Die Ideologie von Tayyip Erdoğan ist dieselbe wie die der Muslimbruderschaft. Sowohl als Politik als auch als Geisteshaltung. Tayyip Erdoğan sieht Mursi und die Muslimbrüder in Syrien als seine Brüder an. Seine Regierung hat sie Muslimbruderschaft unterstützt. So kam es zum Konflikt zwischen den USA und der Türkei.
Dieser Widerspruch führte zum Ende der FSA, die buchstäblich zermalmt wurden. Als die Muslimbruderschaft schwächer wurde tauchte Al-Qaida auf und es begann als Gegenprojekt der Aufstieg des IS. Nachdem sich die kurdische Widerstandsfront gegen den IS und Al-Qaida auflehnte und den Vormarsch dieser Gruppen verhindern konnte, wandten sich der kurdische Widerstand und die USA Ende 2014 einer Allianz, einer Koalition gegen den IS-Faschismus zu. Hätten die USA die Möglichkeit gehabt, hätten sie ihre Interessen, in diesem Fall den Sieg über den IS, mit anderen Verbündeten verfolgt. Doch nur der kurdische Widerstand konnte den IS und Al-Qaida bremsen und den USA blieb keine andere Möglichkeit als mit ihnen eine Allianz einzugehen.
Dann ist die Lage Syriens durch Russland und den Iran noch komplizierter geworden, militärisch ist es jedoch zur Zeit so, dass Syrien in drei Teile geteilt ist. Es gibt die von Streitkräften von Bashar al-Assad kontrollierten Territorien, das von demokratischen Kräften kontrollierte Rojava und syrisches Territorium unter der Kontrolle der türkischen Armee. Zu letzterem gehören Cerablus, al-Bab, Afrin und İdlib, da befindet sich die IS-AKP-MHP Armee. Diese sind Verbündete. Zwar gibt es einige Widersprüche zwischen ihnen, aber nach außen hin handeln sie wie eine gemeinsame Front, wobei AKP und MHP das Zentrum bilden. Jetzt, da sich Syrien in dieser Position befindet, sieht die Türkei keinen Ausweg mehr. Sie wollten den Krieg eskalieren lassen um in Syrien eine Lösung in ihrem Sinne zu finden. Alle Gespräche und Verhandlungen, in Astana, in Sotschi, in Genf führten immer wieder in eine Sackgasse. Daraufhin wandten sich die USA gegen den Iran um eine Lösung zu finden. In der Tat ist der Iran insbesondere wegen seiner Beziehungen zu Russland ein wichtiger Akteur in Syrien. Wenn es in Syrien eine Lösung im Sinne der USA geben soll, muss der Iran daher zurückgedrängt werden. Jedoch ist nicht nur der Iran ein Bremsklotz für den Frieden in Syrien. Das eigentliche Hindernis ist die Türkei. Die USA sehen das nicht. Die USA wollen den Iran schwächen, indem sie auf die Türkei bauen. Als wenn die einzige Kraft, die eine Lösung im Syrienkonflikt verhindert, Iran wäre, beharrt sie auf einer Intervention gegen den Iran.
Die Stärkung der Embargos, die am 5. November 2018 gegen den Iran angekündigt wurde, bedeutet eine Eskalation dieser Strategie. Die USA werden den Druck auf den Iran erhöhen. Es wird aber nicht so ablaufen wie es in Syrien, Ägypten oder in anderen Ländern der Fall war. Die Bedingungen im Iran sind anders. Zur Zeit intervenieren die USA dort vor allem wirtschaftlich. In jedem Fall nehmen US-amerikanische Geheimdienstaktivitäten zu und es könnten sich auch im Iran Ansätze eines Putsches abzeichnen. Wir wissen nicht, welche Methoden herausstechen werden, aber die USA will den Kampf gegen den Iran verstärken und möchte, dass jeder an ihrer Seite steht.
Was ist die Position der kurdischen Freiheitsbewegung im Falle eines US-amerikanischen Krieges gegen den Iran?
So ein Krieg ist nicht im Interesse der Kurden. In einem solchen Fall wird die USA auf die Türkei setzen und weitere Zugeständnisse vergeben. Die AKP-MHP-Regierung will, sich darauf stützend, weiterhin Massaker verüben und den Völkermord an den Kurden begehen. Daher besteht die Priorität der Kurden heute darin, die faschistische Diktatur der AKP-MHP zu zerstören. Denn diese Diktatur hält den IS und Al-Qaida am Leben. Sie ist ein Feind der Demokratie, ein Feind der Kurden und sie bedroht Europa, die Vereinigten Staaten und die ganze Welt. Der AKP-MHP Despotismus ist die reaktionärste und gefährlichste Macht unserer Zeit. Das stimmt für die Kurden, aber auch für die ganze Menschheit. Europäische Politiker wissen es nur zu gut. Sie sahen diese Gefahr durch die IS und Al-Qaida-Angriffe. Die Strategie der US-Regierung, diese Tatsache zu ignorieren und statt dessen den Iran an den Pranger zu stellen ist nicht im Interesse der Völker des Nahen Ostens, der Kurden, der europäischen Gemeinschaften und der Menschheit. Denn eine solche Politik verstärkt die faschistische Diktatur des AKP-MHP-Regimes und somit auch Organisationen wie den IS und Al-Qaida. In dieser Hinsicht sagt der kurdische Widerstand: Die Bedrohung ist ISIS und Al-Qaida und ihr Mentor und Kommandant ist die AKP-MHP-Diktatur. Daher sollte die Anti-IS-Koalition eine Anti-AKP-Koalition sein. Der Kampf gegen den IS und Al-Qaida sollte als Kampf gegen AKP-MHP fortgesetzt werden. Die Vereinigten Staaten sind jedoch auf Erdoğan und die AKP-MHP-Diktatur für ihren Kampf gegen den Iran angewiesen.
Wir kennen die Haltung des Iran, seine Mentalität sowie seine Strategie, insbesondere gegen die kurdische Politik und gegen die Kurden nur all zu gut. Wir wissen, wie der Widerstand der Kurden mit der osmanisch-iranischen Allianz zerschlagen wurde und wie im 20. Jahrhundert das iranisch-türkische Bündnis den kurdischen Aufstand zerschlug. Nun schließt die türkische und iranische Regierung sich in anti-kurdischer Politik zusammen, auch wenn sie sich bei allen anderen Themen nicht einigen können. Der Iran ist eine Bedrohung für die Kurden und für den Mittleren Osten. Aber die akuteste Bedrohung geht im Moment vom IS und Al-Qaida aus, sowie von der AKP-MHP-Faschistenmacht, die sie unterstützen. Daher sollte das erste Ziel die Zerschlagung der AKP-MHP-Herrschaft sein. Es gibt kurdische Kräfte, die über keine ideologische oder strategische Sichtweise verfügen. Diese befinden sich irgendwo dazwischen und richten sich nach alltäglichen Interessen. Sie stellen sich unter den Einfluss der USA oder des Iran. Diese Kräfte sind gefährlich. Schauen wir uns die Politik der KDP und der PUK an. Sie haben keine strategische Haltung. Weder bezüglich der Existenz noch der Freiheit der Kurden noch für Demokratie im Mittleren Osten. Die PKK auf der anderen Seite verfügt über eine strategische Haltung bezüglich der Existenz und der Freiheit des kurdischen Volkes. Sie ist überzeugt, dass dies mit einem demokratischen Mittleren Osten möglich ist. Sie hält sich an die Notwendigkeiten dieser Theorie und Strategie. Aktuell stellt die Diktatur von AKP und MHP die größte Gefahr für diese Strategie dar.
Wie sehr hat sie die Gesellschaft Nordkurdistans unter Massakern leiden lassen. Sie haben sich an kein Recht gehalten. Sie inhaftieren Abgeordnete und Bürgermeister. Sie haben alle gewählten kurdischen Verwaltungen eliminiert. Zehntausende kurdische Politiker sind im Gefängnis. Jeden Tag gibt es dutzende Morde. Dagegen leisten Abgeordnete derzeit in den Kerkern Widerstand mit Hungerstreiks. Jeden Tag bombardieren türkische Kampfjets mit NATO-Waffen Regionen in Südkurdistan. Afrin wurde durch den Invasionsangriff der Türkei am 20. Januar 2018 eingenommen, und jetzt gibt es in Afrin, dessen gesamte Bevölkerung kurdisch war, keine Kurden mehr. Erdoğan hat vor den Augen der Welt ein Massaker angerichtet und das Kurdentum in Afrin zerstört. Das möchten sie auch mit den anderen Städten Rojavas machen. Er stellt seine gesamte Armee jeden Tag drohend an die Grenze. Er bombardiert, beschießt mit Panzern und schwerer Artillerie und droht mit einer Invasion. Wie könnten die Kurden in dieser Situation dem Kampf gegen den Iran priorisieren und das auch noch an der Seite der Türkei? Wie oft haben wir einen Waffenstillstand erklärt und versucht, eine demokratische Lösung mit der Türkei zu erarbeiten? Die derzeitige AKP-MHP-Administration hat es sich vorgenommen die Kurden zu vernichten. Wenn sich die USA mit dieser Regierung zusammentut, gerät sie in die kurdenfeindliche Linie und das ist eine Vorgehensweise, die die Kurden niemals befürworten werden.
#Interview Karl Plumba
#Übersetzung aus dem Türkischen: Mercan Karadag
Teil 2 des Interviews erscheint am Montag. In ihm spricht Cemil Bayik über die drohende türkische Invasion gegen Rojava, die Stimmung in der türkischen Gesellschaft und die Perspektiven für den Demokratischen Konföderalismus in Nord – und Ostsyrien.
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