Und alle Räder stehen still …

24. September 2018

Frauen streiken gegen Patriarchat und Kapital – 2019 auch in Deutschland

Am 7. März 2018 schrieb Jessica Sommer an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag, der unter Frauen der außerparlamentarischen Linken für fruchtbare Diskussionen sorgte. Treffend fasste die Autorin zusammen, welche verschiedenen feministischen Streikbündnisse auf der ganzen Welt am Entstehen waren. Die historische Herleitung des traditionellen Kampfmittels der Arbeiter*innenklasse als kein reines „Männerinstrument” war dabei genauso überzeugend wie das aufzeigen, dass ein klassenkämpferischer, proletarischer Feminismus weltweit am Aufflammen ist und es schafft Millionen Menschen zu mobilisieren.

In Argentinien haben die kämpfenden Frauen 2016 vor allem darüber auf sich aufmerksam gemacht, dass sie in zentralen Sektoren wie dem Öffentlichen Nahverkehr in Buenos Aires die Arbeit niederlegten. In diesem Jahr streikten in Spanien 5,3 Millionen Frauen. Viele hunderte Männer unterstützten personell die Mobilisierung, traten ebenfalls solidarisch in den Ausstand und verteidigten ihre Kolleginnen vor den Bossen.

Frauenstreik in Deutschland

In Anbetracht der unermüdlichen feministischen Mobilisierung in mehr als 50 Ländern haben sich nun auch in Deutschland lokale Komitees zur Koordinierung eines bundesweiten Frauenstreiks am 8. März 2019 gegründet. Dabei liegt der Fokus auf die breite Zusammenarbeit verschiedener Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen. Die dem losen Netzwerk für einen Frauenstreik 2019 zugrunde liegende politische Prämisse ist die Überzeugung, dass Arbeit nicht nur Lohnarbeit umfasst.

Frauen verrichten nicht nur den überwiegenden Teil an nicht bezahlter Sorgearbeit – darunter fällt die Pflege und Erziehung von Kindern, das Kümmern um ältere Menschen und die allgemeine emotionale Sorgearbeit in Form von Kochen, Putzen, Aufräumen sowie der Überblick über diese Tätigkeiten in der eigenen Wohnung oder WG. Frauen sind auch überproportional in den schlecht entlohnten und wenig anerkannten Sorge- und Pflegeberufen vertreten: als Erzieherinnen, Krankenpflegerinnen, Altenpflegerinnen und Reinigungskräfte zum Beispiel.

Typische „Frauenberufe“ – wie Friseurin, Kosmetikerin oder Verkäuferin – sind nach wie vor von unsicheren Arbeitsverhältnissen bestimmt und dümpeln oft gerade mal um den gesetzlich festgelegten Mindestlohn von 8,84 Euro die Stunde herum. Die direkten materiellen Konsequenzen einer patriarchal strukturierten Gesellschaft lassen sich jedoch nicht allein vom Gehaltscheck ablesen. Frauen und Mädchen lernen früh, sich für ihre Körper zu schämen und sie nach oft gefährlichen Schönheitsstands und binären Geschlechterlogiken, welche nur das Existieren von männlichen Männern oder weiblichen Frauen zulässt, zu formen. Langzeitschäden an physischer und psychischer Gesundheit sind so programmiert. Das Selbstwertgefühl von Frauen wird außerdem systematisch entfremdet, indem bis heute Frauen oft gegeneinander um die Aufmerksamkeit und Anerkennung von Vätern, Brüdern, Partnern, Kollegen oder Genossen konkurrieren.

Objektifizierung weiblicher Körper manifestiert sich nicht nur über sexistische Werbung und Mainstream-Pornos. Frauen und Mädchen müssen sich auch in Berlin, Hamburg, Köln oder München 2018 fragen, wie stark sie an dem jeweiligen Tag sind, um welche Kleidung zu tragen. Ist der Rock „zu kurz“, der Ausschnitt „zu tief“ oder das Make-Up „zu stark“ gelten sämtliche Normen des Respekts nicht mehr für sie. Politisch werden sie dann ohnehin nicht mehr Ernst genommen. Von den alltäglichen Geräuschen die Frauen und Mädchen von Männern hinterher gerufen werden bis hin zu physischen Übergriffen ist auf der Straße, in den öffentlichen Verkehrsmiteln oder auf der Arbeit alles möglich. Dabei gelten die Körper nicht-weißer Frauen und/oder von Transfrauen und/oder von Sexarbeiterinnen als besondere Projektionsfläche patriarchaler Fantasien von ständiger Verfügbarkeit und Über-Sexualisierung, welche letztlich sexualisierte Gewalt inkl. Vergewaltigung und sogar Tötung legitimiert. In Deutschland wird alle drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Und trotzdem weigern sich bürgerliche Medien und Politik von Feminiziden zu sprechen, also von Morden an Frauen, weil sie Frauen sind.

Streiken für Solidarität unter Frauen

Der Frauenstreik ist auch ein Ort der Aushandlung von Klassenpolitik und Solidarität unter Frauen. Der liberal-bürgerliche Feminismus hat Widersprüche zur Arbeiterbewegung auf gemacht, die so für viele lohnabhängige Frauen gar nicht existieren. Denn jede Errungenschaft der hiesigen Arbeiter*innenklasse ist auch ein Fortschritt für alle lohnabhängigen Frauen. Im internationalem Vergleich gilt natürlich das gleiche. Und dennoch werden Arbeiterinnen in großen Streikbewegungen oft unsichtbar gemacht und sie fühlen sich oft von Kollegen und der Gewerkschaftsführung nicht darin bestärkt, Forderungen als Arbeiterinnen an den Verhandlungstisch zu bringen. Deswegen stehen die verschiedenen lokalen Komitees mit progressiven Gewerkschaftssekretärinnen und Gewerkschaftler/innen der Basis aus DGB und Nicht-DGB-Gewerkschaften in Verbindung. Denn der Frauenstreik 2019 ist kein rein symbolischer.

Er strebt an, die wirtschaftliche Kraft, die Frauen entlang der (Re-)Produktionskette inne haben sicht- und hörbar zu machen, und damit neue Formen des Streiks auf die politische Agenda zu setzen. Denn: eine neue Klassenpolitik muss zentral Frauen als Subjekte von Klassenkämpfen ansprechen. Der Frauenstreik 2019 versucht genau dies: die Ermöglichung von Arbeitsniederlegungen im Bereich der Produktion des Lebens und der Produktion der Lebensmittel. Ob entlohnt oder nicht entlohnt. Dabei wird die Stärke und Tragkraft des Frauenstreiks 2019 von der Solidarität unter den direkt – Arbeiterinnen – und indirekt – Hartz IV Bezieherinnen, Hausfrauen etc. – lohnabhängigen Frauen bestimmt werden. Reine Lippenbekenntnisse zu einem antirassistischem Feminismus müssen abgelöst werden von real zusammengeführten Kämpfen gegen Prekarisierung, Wohnungsnot, Abschiebungen und imperialistische Kriege – oft genug mit deutscher Beteiligung. Die unmittelbare materielle Verbesserung der Lebensverhältnisse der Frauen muss dabei in Bezug zu weiterführenden, langfristigen Forderungen gesetzt werden. Die Frauen vom Women Strike UK haben für 2018 die verschiedensten Themen, gegen die Frauen streiken können, gut in einem kurzem Video zusammen gefasst.

Aufbauen gesellschaftlicher Relevanz

Die heiße Phase der Mobilisierung beginnt dabei schon jetzt. Am 10 und 11. November organisieren die Vorbereitungskomitees ein bundesweites Vernetzungstreffen in Göttingen, um tiefer gehende politische Diskussionen zu führen und sich über die zentralen und dezentralen Aktionen zum 8. März 2019 auszutauschen. Für den Aufbau gesellschaftlicher Relevanz brauchen wir jedoch nicht nur die Frauen. Männer haben eigene Forderungen im Kampf gegen Patriarchat und Kapital und müssen diese auch politisch formulieren lernen. Neben Zuarbeit wie Drucken und Verbreiten von Flyern und Postern können Männer, in Absprache mit den lokalen Komitees, auch eigene Aktionen planen und durchführen. Von Arbeitsniederlegungen bis zu kreativen anti-patriarchalen Protestformen am 8. März, braucht der Frauenstreik die Beteiligung von lohnabhängigen Männern um das gesamte Potenzial der Klasse auszuschöpfen.

# Eleonora Roldán Mendívil

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6 Kommentare

    noah 24. September 2018 - 18:03

    “In Deutschland wird alle drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.”
    Boah. Wo kommen diese Zahlen her? Gibts dazu eine Quelle?

    isomoll 28. September 2018 - 21:30

    Im verlinkten Artikel steht, das in 2016 149 Frauen in D von ihrem Partner ermordet wurden…
    https://www.tagesschau.de/inland/gewalt-113.html

    Eleonora Roldán Mendívil 29. September 2018 - 16:38

    Genau. Das sind im Schnitt eine getötete Frau alle zwei bis drei Tage in Deutschland.

    lowerclassmag 29. September 2018 - 12:03

    Hallo Noah,
    bitte entschuldige die späte Antwort. Über diesen Link lassen sich offizielle Statistiken finden bezogen auf Tötungen von Frauen durch ihre Partner in Deutschland.
    Viele Grüße
    Karl Plumba

    octopusse 12. Januar 2019 - 18:15

    binäre geschlechterkonstruktion ist vor allem die nicht-anerkennung von auszerhalb des mann-frau, penis-muschi spektrums liegenden sozialen wie auch sexuellen Geschlechtern.

    Eine macho auftretende zis-Frau ist noch lange nicht dekonstruktivistisch;
    eine sensible transfrau* noch lange kein “femininer” mann.
    das heisst, nicht das konnotative attribut, sondern das festnageln auf eines
    der “binären” Geschlechter,
    ist die eigentliche binaristische sexistische Gewalt.
    Es gibt nicht nur Männer und Frauen..
    dass es in dem artikel hauptsächlich um zis-muschimenschen geht weisz ich selber, ich kanns nur einfach nicht mehr ertragen.

    lowerclassmag 14. Januar 2019 - 16:58

    Hallo Octopusse.

    Wir wissen nicht wo in dem Artikel du binäre Geschlechterlogik herausliest? Weil die Autorin “Frau” und “Mann” schreibt? Etwas nicht zu schreiben, heißt nicht dies nicht anzuerkennen, geschweige denn die Gewalt die gegenüber nicht-binären und/oder Inter-Menschen real existiert zu leugnen. Hinter “Frau” und “Mann” steckt (ob trans* oder nicht) eine materielle Realität im Kapitalismus. Körper bestimmen nun mal die Zuordnungen in bestimmte Sphären der Re-Produktion. In dem Artikel geht es genau darum. Und darum warum “Frau” (und hier ist die Adressierung als Fraue gemeint – keine biologistisch-essentialistische Kategorisierung) als revolutionäres Kampfsubjekt nicht ausgedient hat. Es wird ein marxistische Perspektive auf den Frauen*streik angeboten. Nicht DIE oder DIE EINZIGE marxistische Perspektive. Die Autorin distanziert sich von dem postmodernen “Dekonstruktions”-Gedanken. Wir können Geschlecht – ähnlich wie Rasse etc. – nicht einfach weg diskutieren solange die kapitalistische/Produktionsgrundlage existiert. Binäre Logiken hinterfragen, untergraben etc. ist auch in sich nichts revolutionären solange es als individualistische Praxis ausgelegt wird. Dadurch wird keine neue Gesellschaft aufgebaut. Schlimmstenfalls ist dies ein kapitalistisches Optimierungsunterfangen. Kann man das AUCH machen? Ja! Aber muss jegliche Geschlechterbinarität abgeschaffen werden? Nein. Wir kämpfen für eine Gesellschaft in der alle sich so identifizieren können und ohne Angst leben können wie sie sich fühlen… egal welcher Geschlechtsidentität. “Frauen” und “Männer” abschaffen bedeutet dies nicht. Das Ganze erweitern wird aber jegliche zwangsbinäre Normen in Bezug auf Geschlecht notwendigerweise – und zum Glück – aufweichen. Und: auch “cis-Muschimenschen” sind wichtig. Und sind Kampfsubjekte. Nicht die Einzigen aber auch. Dies abschaffen zu wollen gleicht einer patriarchalen Logik, die wir ablehnen.

    Beste Grüße,
    die lcm Redaktion