Bildet Banden!

4. Januar 2018

Fast hätte die EB Immobiliengruppe den seit 1983 in Berlin-Kreuzberg bestehenden Kinderladen »Bande« zum Auszug gezwungen. Doch die Eltern, Erzieher*innen und Kinder machten ihnen einen Strich durch die Rechnung. Eine Reportage aus SO36

Berlin-Kreuzberg im Winter 2017. In der Oranienstraße kämpfen diverse Gewerbetreibende und Anwohner*innen um ihre Existenz im Stadtteil. Auf der inzwischen fünften Kiezversammlung finden sich hunderte Menschen ein, die von Gentrifizierung und hohen Mieten betroffen sind und kämpfen wollen. Manteuffel- und Lausitzer Straße, Reichenberger, Otto-Suhr-Siedlung, Eisenbahnstraße, Mariannenplatz – kaum ein Straßenzug in Kreuzberg 36 ist nicht vertreten. Die Kämpfe um das Recht auf Stadt sind vielfältig: Gegen den Google-Campus richtet eine Initiative ihre Aktivitäten, für den Verbleib des Spätis der Familie Tunc in der O-Straße kämpft eine andere. Und keiner will, dass das neu entstandene Luxushotel am O-Platz bleibt.

Einer der öffentlichkeitswirksamsten Kämpfe dreht sich um den Kinderladen »Bande«. Seit Jahrzehnten eine Institution im Viertel, veranstalteten Eltern, Kinder und Erzieher*innen am 16. November einen Laternenumzug gegen Verdrängung in Kreuzberg. Viele Nachbar*innen sind gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen.
Der Kinderladen wurde durch den Investor »Deutsche Investment« aufgekauft, gekündigt und kämpft aktuell um seine Existenz. Einer, der von Anfang an dabei war, ist Max. Die Tochter des Filmemachers ist in der »Bande« gut aufgehoben. Der Kindergarten, auch weil er keine Massenbetreuungsstätte ist, ist für Max’ Familie wichtig. »Die ›Bande‹ ist ein typischer Kreuzberger Kinderladen. Die Eltern bilden den Verein, es gibt drei Erzieher*innen und 15 Kinder. Es gibt kein dogmatisches pädagogisches Prinzip. Die Kinder können dort einfach Kinder sein und machen, worauf sie Bock haben. Sie lernen viel Solidarität untereinander. Und das prägt natürlich auch ihre Zukunft.«

»Für uns war klar, dass wir eine gute Ausgangslage hatten. Denn Kitaplätze und Kinderläden findet ja irgendwie niemand falsch«, erinnert sich Max an den Anfang des Widerstands für den Laden. »Unsere Situation war dadurch eine sehr greifbare und wir konnten damit viel Aufmerksamkeit schaffen. Und in diesem Moment kann man natürlich sehr viel mehr gewinnen als nur etwas für unsere Kita.«
Früher irgendwann, vor längerer Zeit, war das Haus in der Oranienstraße 202 im Eigentum der GSW. Die hatte es verkauft, insgesamt dreimal wechselte es seither den Besitzer. Bis vor einigen Monaten ohne nennenswerte Mieterhöhung.

Monsterlaternen gegen Monstermieten Foto: Florian Boillot

Nun aber kam die EB Immobilien Gruppe. Und mit ihr ein Kündigungsschreiben. Dem Kinderladen wurde zwar angeboten, die Räumlichkeiten weiterzubetreiben. Allerdings zu horrenden Konditionen: Die Miete wäre vervierfacht worden, auf 16 Euro pro Quadratmeter. Ähnlich erging es den Nachbar*innen der »Bande«. Die EB Gruppe hatte den gesamten Block aufgekauft, für die Gewerbetreibenden verlangte man nun Mieten von bis zu 40 Euro pro Quadratmeter.

Max erzählt, dass sich die Eltern und Erzieher*innen umgehend zusammengesetzt haben und zuerst mögliche Konsequenzen aus der Kündigung analysiert wurden. »Wichtig für uns war, dass wir alle die Position hatten: Wir werden das Schiff nicht verlassen. Es war wichtig, dass wir alle dahinter standen. Gleichzeitig hatten wir natürlich die Kämpfe wie bei Kisch & Co. oder dem Späti in der Oranienstraße mitbekommen. Wir haben uns dann relativ schnell mit ›Zwangsräumungen Verhindern‹, ›Bizim Kiez‹ und ›OraNostra‹ zusammengetan.«

Der Kinderladen fing an, sich an Demonstrationen und anderen Aktionen im Kiez zu beteiligen. »Wir haben einerseits an der Verdunkelungsaktion der Gewerbetreibenden in der Oranienstraße teilgenommen und uns dann am Laternenumzug durch den Kiez beteiligt. Wir haben versucht, kreative Protestformen zu nutzen, was für uns als Kita einerseits leichter, aber andererseits auch notwendig ist«, erzählt Max. „Wir mussten es ja kindergerecht machen, nicht wegen der Sache an sich, sondern damit auch unsere Kids mitmachen. Denen wird langweilig, wenn es kein gutes Programm auf den Demos gibt«, sagt er schmunzelnd.

Auf die Frage, ob die Kinder die Situation und den Kampf um den Kinderladen verstehen würden, antwortet Max, dass Kinder natürlich ein Verhältnis von »gut« und »böse« haben. Für sie sei es eine Mischung aus Bedrohung und Spiel. Die Kinder wüssten, dass es einen Vermieter gibt, der etwas tut, was für den Kinderladen nicht gut sei. »Und sie finden es toll, dass sie Teil von etwas Wichtigem sind. Auch weil die Eltern natürlich stolz auf sie sind.«

Der ökonomische Hintergrund des Konflikts ist den Kindern schwerer begreiflich zu machen. »Sie haben kaum ein Verständnis von Eigentum. Also Eigentum ist für sie das, was du gerade in der Hand hältst – außer natürlich es geht um das eigene Spielzeug. Aber sie verstehen es nicht, dass jemand das gesamte Haus kauft und damit unsere Kita irgendwie dem gehört und wir, die Kita, ja auch nur anmieten. Kinder hinterfragen das natürlich: Warum hat er jetzt das Recht dazu, so was zu tun? Wir sind doch da.«

Auf den gutbesuchten Demonstrationen konnte man das Interesse für den Kinderladen deutlich sehen. »Es hat sich da einfach auch eine total gute Gemeinschaft gebildet. Der Kita geht es so gesehen so gut wie lange nicht mehr. Über diese Zeit sind wir wirklich richtig gut zusammengewachsen.«

Als klar wurde, dass der Kiez diese Verdrängung nicht widerstandslos hinnehmen würde und auch größere Medien über den Kinderladen und die Situation berichteten, veränderte sich die Situation. Als das ZDF ankündigte, einen Beitrag zu drehen, stand irgendwann auch Enver Büyükarslan, Geschäftsführer der EB Immobiliengruppe, auf der Matte. Eines abends meldete er sich telefonisch bei Max. Es habe sich ja alles nur um ein Missverständnisse gehandelt und er sei sehr unglücklich, dass die Gespräche bisher immer nur auf einer sachlichen Ebene geführt wurden. Man müsse sich nun »von Mensch zu Mensch« unterhalten. »Man hat gemerkt, dass er auf einmal ein ganz großes Interesse hatte. Er hat auch immer wieder betont, dass er nicht wolle, dass der Konflikt eskaliert.«

Am nächsten Tag meldete er sich erneut und schlug vor, am Nikolaustag mit Schokolade, Nüssen und Mandarinen in der Kita vorbeizuschauen. Die »Bande« sei stets gesprächsbereit gewesen, aber worüber hätte gesprochen werden sollen, wenn die Hausverwaltung auf den 16 Euro pro Quadratmeter besteht? Der Vermieter wurde dann zu einem gemeinsamen Termin eingeladen – in Anwesenheit des ZDF. Resultat: Das aktuelle Angebot an die »Bande« sei eine Mietsteigerung um circa 25 Prozent – statt 400 Prozent – befristet auf zehn Jahre. »Die Miete können wir so akzeptieren. Aber wir wollen einen unbefristeten Vertrag haben«, ergänzt Max. Das sei zwar unüblich, aber für Kinderläden und andere soziale Einrichtungen angemessen.

Der Kampf, so beteuert Max, sei aber auch mit dem Erreichen dieses weitergehenden Ziels nicht zu Ende. Denn es gehe nicht nur um den Kinderladen, sondern um den Kiez im Ganzen. »Ich meine, ist es nicht noch schlimmer, wenn Menschen hier aus ihren Wohnungen vertrieben werden? Das ist doch eine noch existenziellere Bedrohung, als die, vor der wir standen?« fragt er. Zudem sei auch der Kinderladen ohne die Einbindung in den Kiez nicht dasselbe. »Unser Essen kommt von Kraut und Rüben, einem von Frauen geführten Bioladenkollektiv; in der Schokofabrik gehen unsere Kids turnen.« Der Kiez »ist total wichtig auch für das, was jetzt passiert ist. Es ist unser eigenes Interesse, dass der Kiez so bleibt. Was haben wir von einer Oranienstraße, wo es nur noch teure Gastro und Fashionshops gibt?«

Durch ihren erfolgreichen Kampf gibt die »Bande« umgekehrt Impulse für die Nachbar*innen, deren Wohnungen oder Läden ebenfalls von der EB Immobilien Gruppe gekauft wurden. Die anderen Mieter*innen haben den Kampf des Kinderladens aufmerksam verfolgt und organisieren sich. Das Problem sei, dass die Gewerbemietverträge alle fristgemäß gekündigt wurden, aber jeweils unterschiedliche Laufzeiten hätten. Manche Läden könnten also bereits in fünf Monaten, andere erst in fünf Jahren zum Auszug gezwungen werden. Das erschwert ein gemeinsames Vorgehen gegen den Vermieter.

Für Max ist noch nicht geklärt, wie man mit dieser Perspektive weiterarbeiten könnte. Aber auch wenn sich die Kita mit dem Vermieter einigt, wird sie weiterhin Teil der Kämpfe um den Kiez unterstützen. »Wir haben jetzt für uns etwas geschafft, aber geht es darum diese Energie weiterhin zu nutzen. Auf der Kiezversammlung habe ich nochmal deutlich gesehen wie viele Menschen und Geschäfte hier im Kiez von Verdrängung betroffen sind. Das wird stadtpolitisch eines der großen Themen werden. Wir wollen keine Zustände wie in London, Paris oder New York.«

Für Kreuzberg ist der junge Vater zuversichtlich: »Wenn es aber einen Ort in Berlin gibt, wo Widerstand praktisch werden kann, dann ist es Kreuzberg. Hier können wir gemeinsam kämpfen, hier gibt es eine gute Grundlage.«

#Hubert Maulhofer

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