Wie Gedenken? – Über linke Gedenkkultur

4. Dezember 2017

Die Debatte um linke Erinnerungskultur im Lower Class Magazine hat, mit diesem, nun sogar schon drei Artikel. Dabei ist lustigerweise zu Beobachten wie Diskussionskultur innerhalb der Linken funktioniert, der erste Artikel kritisiert die aktuelle Gedenkpraxis, der Zweite beschreibt sie und erhebt sie zum non plus ultra, als ob der erste Artikel nicht gelesen oder nicht verstanden wurde.

Die Forderung solidarisch mit Betrachtung der Hinterbliebenen der Opfer zu gedenken ist genau das was die Deutsche Linke seit jeher versucht. Das klappt manchmal besser manchmal schlechter, manchmal wird daraus ein ritualisierter Kiezspaziergang. Heldenverklärung gibt es dabei nicht. Jeden Januar wird, in einer Art DDR Anachronismus, eine Demonstration zu Ehren der gefallenen Revolutionär*innen des letzten Jahrhunderts Veranstaltet, zahlreiche Artikel, Aufrufe und Flyer erinnern an ermordete und tote Genoss*innen. Scheinbar ist es vielmehr die Art als die Abwesenheit des Gedenkens die das Problem der Autoren des ersten Artikels darstellt.

Sie diagnostizieren der deutschen Erinnerungskultur zurecht einen Opfer-Narrativ. Sie Vergessen jedoch, dass das nicht nur für das Gedenken an die Toten gilt sondern für die deutsche Linke generell. Die deutsche Opferlinke mag den Aktiven, den Täter*innen, in ihrer Geschichte nicht über den Weg trauen und ihnen erst recht nicht gedenken. Sie gedenkt ihnen daher höchstens als unschuldigen Opfern. Wer nichts tat, außer sich ermorden zu lassen, machte nichts falsch und ist daher vor jeder Kritik gefeit. Diese Gedenkpraxis liegt zu teilen am bürgerlich-intellektuellen Charakter der deutschen Linken. Viele Linke sind nicht bereit ihre eigenen Überzeugungen so ernst zu nehmen, dass Einschnitte in ihren Lebensstil nötig wären. Eine Verehrung und Idealisierung Gefallener, also die Verehrung derer die das ultimative Opfer für die Erreichung und Verteidigung ihrer Ideale erbracht haben, würde die Aufmerksamkeit auf die eigene Unzulänglichkeit, die eigene Bequemlichkeit lenken. Wie soll man jemandem gedenken, der bereit war für die eigenen Ideale zu sterben, wenn man selbst nicht bereit ist, für die Aktion am nächsten Tag den abendlichen Besuch im „Mensch Meier“ ausfallen zu lassen? Der innere Widerspruch wird umgangen indem nur derjenigen Toten gedacht wird, die Unschuldig unter die Räder geraten sind und wenn dann jemand doch aktiv ware, wie Cornelia Wessmann oder Silvio Meier, wird das Augenmerk trotzdem auf ihr Opferdasein gelenkt und nicht auf ihren Kampf, der als Beispiel herhalten könnte. Dadurch verliert Erinnerungskultur in Deutschland jegliches inspirierendes und emanzipatorisches Potential.

Zudem wird ideologiekritische Theorie bemüht, die zu erklären vermag, weshalb eine solche „Heldenverehrung“ sowieso falsch wäre. Es werden Analogien zur religiösen Heiligenverehrung ausgekramt und betont, dass Verehrung zwangsläufig zur Reproduktion der begangenen Fehler führt. Ulrike Meinhof oder Andreas Baader zu Gedenken wird aber nur dann zum Problem, wenn man nicht mehr der Person Meinhof mit all ihren Eigenschaften gedenkt und diese von der RAF trennt, sondern jede Aktion und Position der RAF unhinterfragt zum Paradigma erhebt. Die berechtigte Kritik, die notwendig ist um nicht die selben Fehler zu begehen wie die vorangegangenen Genoss*innen der linken Bewegung, wird jedoch schnell zum Totschlagargument, welches die Anerkennung der erbrachten Opfer gleichsetzt mit der blinden Verehrung der selbstverständlich widersprüchlichen, historischen Persönlichkeiten. Die RAF wird auf ihren Antisemitismus reduziert, die RZ sowieso und Thälmann hat mal was zur Nation gesagt das nicht der heutigen Konsensposition der Interventionistischen Linken entspricht. Gedacht wird in folge dieser Herangehensweise nur denjenigen, über die so wenig bekannt war, dass man nichts über ihre Fehler weiß.

Die andere Seite der Medaille und dies scheint die Lösungsvorstellung einiger zu sein, ist die tatsächlich religiös anmutende Märtyrerverehrung, wie man sie Andernorts in linken Bewegungen findet. Die Şehits sind unsterblich. Eine solcher Umgang mit den Toten, wenn er denn wünschenswert ist, wird in Deutschland jedoch schwerlich zu erreichen sein. Denn der Umgang mit dem Tod in der deutschen Gesellschaft ist generell anders als in der Türkei oder Kurdistan. Diese Erkenntnis lässt sich zum einen aus banalen Beobachtungen schlussfolgern, wie zum Beispiel deutsche Beerdigungen die schnell trocken und ohne großes Tamtam, dafür aber mit viel Alkohol von statten gehen. Während sie Andernorts größer und bewusster begangen werden. Zum Anderen aus Erkenntnissen der Thanatopsychologie und Sozialpsychologie die feststellt, das die deutsche Sterbekultur, gerade seit dem Trauma des 2 Weltkrieges, von Verdrängung geprägt ist. Tod und sterben werden aus der gesellschaftlichen Sichtbarkeit verdrängt, sind etwas privates und kommen idealerweise nur in unser Leben, wenn unsere Großeltern nach langem Leben und kurzer Krankheit möglichst rasch und ohne aufsehen unter die Erde gebracht werden. Eine Sterbekultur wie sie in Deutschland vorherrscht verträgt sich schlecht mit Märtyrertum und Gedenken.

Eine (deutsche,) linke Gedenkpraxis kann deshalb nicht die Praxis kurdischer oder türkischer Bewegungen kopieren, sondern muss sehr viel differenzierter und kühler an die Sache gehen. Die Betonung muss dabei auf historische Umstände und Widersprüche gelegt werden, während gleichzeitig die erbrachten Leistungen und Opfer gewürdigt werden. Das Gedenken muss als Chance begriffen werden Fehler zu erkennen und zu vermeiden und im ringen um die kulturelle Hegemonie, die Leere die so manche Kartoffel fühlt, weil sie nicht der Wehrmacht gedenken darf, mit linken Gegenfiguren zu füllen. Straßen, Jugendzentren, Besetzte Häuser und Kneipen nach Vorbild-Figuren zu benennen könnte ein Weg sein linke Gegenkultur in die Mehrheitsgesellschaft hinein zu tragen. Wie könnte ein Faschist im Karl-Liebknecht-Stadion feiern, wie in der Silvio-Meier-Straße wohnen. Wenn die Petersstraße in Mwalimu-Nyerere-Allee umbenannt ist, wenn aus der Bismarckstraße die Albrecht-Höhler-Straße geworden ist, dann ist die Linke in der deutschen Gesellschaft nur noch schwer zu übersehen.

Die deutsche Linke tut sich schwer mit Deutschland und sie tut sich schwer mit der deutschen Linken. Doch eins ist klar: wir müssen einen Weg finden, unseren Gefallenen zu gedenken. Sie haben es verdient.

# Auguste Salomon

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Ein Kommentar über “Wie Gedenken? – Über linke Gedenkkultur”

    Brusewind 7. Dezember 2017 - 15:18

    Ich würde noch einen Schritt weiter gehen und auch der lebend”gefallenen”,der Menschen die psychische Schäden erlitten .Von PTBS,über Ängste,Panikattacken,Depressionen bis hin zu stofflich gebundenen süchten zu danken für Jahrzehnte langen Einsatz!
    Ich denke dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen-bin selber betroffen und habe viele ‘alte Kämpfer’ in ähnlicher Situationen gesehen/erlebt.
    Was auch sehr nachgelassen hat is das SOLIBÖLLERN am Silvesterabend vor den Knästen!!