Ein Interview mit der Soli-Gruppe Interbrigadas aus Berlin – Von Jan Schwab
Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, die traditionell jedes Jahr zum Gedanken an die von Freikorps ermordeten KomunistInnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht stattfindet, hatte ich dieses Jahr die Möglichkeit ein Interview mit einer langjährigen Solidaritätsgruppe aus Berlin zu führen. Die Gruppe Interbrigadas eV besteht bereits seit 10 Jahren und verbindet einen Ansatz von politischer Bildung und Vernetzung mit konkreter internationaler Solidaritätsarbeit vor Ort. Wie das Ganze entstanden ist, was die GenossInnen gerade so machen und wie sie das alles organisieren, findet ihr im nachfolgenden Interview.
Jan [LCM]: Hallo Malte, du bist bei der internationalen Solidaritätsgruppe Interbrigadas organisiert. Erkläre uns doch kurz was die Idee hinter dem Projekt ist.
Malte [Interbrigadas]: Hallo Jan, wir sind ein bereits seit 10 Jahren bestehender gemeinnütziger Verein. Der Kontext unserer Entstehung und Politisierung lag im Irak-Krieg 2003 und der damaligen Antikriegsbewegung, sowie der beginnenden Schulstreikbewegung. Wir waren damals selbst noch SchülerInnen und die Empörung trieb uns zu Protesten auf die Straße. In diese Zeit fiel auch der sich radikalisierende Bolivarische Prozess unter dem linken Präsidenten Hugo Chavez in Venezuela, den einige von uns kennenlernten, sich begeistern ließen und sich entschlossen, 2006 das erste Mal nach Venezuela zu fahren. Das ganze Projekt begann also nach diesem ersten Besuch mit der Organisation von weiteren Fahrten ab 2007. Es ging dabei zunächst um die Beobachtung des Prozesses, d.h. auch um Vernetzung, das Kennenlernen von Akteuren und ein Verständnis für die Arbeit der Gemeinderäte (consejos comunales) vor Ort. Von Beginn an wurden wir herzlich empfangen und hatten das Bedürfnis, etwas zurückzugeben. Was wir machen ist daher einfach erklärt: Wir bilden internationale Brigaden und organisieren politische Reisen. Zentrales Motiv ist die Politisierung der Teilnehmenden, d.h. das Ermöglichen der Reflektion von nicht-europäischen Kämpfen und der damit einhergehenden grundsätzlich anderen Perspektive der Akteure dort. Gleichzeitig geht es natürlich auch darum, die AktivistInnen vor Ort solidarisch zu unterstützen. Das drückte sich dann in einer Vielzahl von Projekten aus, wobei wir uns stets fragten, was wir den Menschen vor Ort anbieten können und was ihnen auch nutzt. Mit der Zeit schnitten wir die Kurse immer stärker auf die Bedürfnisse der Akteure zu. Die Arbeit vor Ort wurde von uns dann auch ergänzt durch Arbeit in Deutschland, d.h. die Veranstaltung von Info-Abenden, Ausstellungen und andere kulturelle Arbeit. Dabei gewannen wir viele weitere InteressentInnen für unsere Arbeit.
Jan [LCM]: Wie sah eure Solidaritätsarbeit genau aus – An welchen Projekten hattet ihr mitgearbeitet?
Malte [Interbrigadas]: Zunächst muss man berücksichtigen, dass wir und unsere Projekte nun eine 10-jährige Entwicklung hinter sich haben, d.h. da hat sich auch unglaublich viel verändert im Vergleich zu den Anfängen. Das Konzept hat sich im Prinzip aus der Praxis entwickelt. Wir sind damals als vollkommen unbeschriebene Blätter in die Armenviertel in Venezuela gefahren und haben dann überhaupt erst mal über die Situation vor Ort, die Menschen und die Idee hinter den consejos gelernt. Die zentrale Fragestellung war für uns damals: Was können wir dort tun, was können wir vermitteln, von dem die Menschen profitieren können? Denn du musst dir vorstellen, dass trotz der Armutsbekämpfungsprogramme, die Hugo Chavez zur damaligen Zeit angestoßen hatte, die Situation nach wie vor schwierig war. Wir haben dann mit Bildungsarbeit angefangen, z.B. Nachhilfe für Kinder oder auch politische Kurse für Erwachsene über die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung. Dabei haben wir auch viele Probleme mitbekommen, die den Alltag der Menschen prägen, z.B. die grassierende Kriminalität. Uns war es immer wichtig verschiedene Akteure des Bolivarischen Prozesses kennenzulernen. So besuchten wir auch die ArbeiterInnenselbstverwaltungsstrukturen der besetzten und teilweise verstaatlichten Fabriken. Da gab es verschiedene Modelle – mit und ohne staatliche Mitbestimmung – die sich jeweils in eigenständigen Kämpfen entwickelt hatten. Dann gab es da natürlich die solidarischen Gesundheitszentren, politische Radiosender, die HausbesetzerInnenbewegung. Das sind Dinge, die du hier nicht in der Form kennenlernst.
Jan [LCM]: Wie war denn das Feedback auf eure Arbeit in den Ländern, aber auch in Deutschland?
Malte [Interbrigadas]: Unser Verein ist ein linkes Projekt, aber eben auch ein Verein. D.h. es gab auch Aufgrund unserer Organisierungsform viele Querverbindungen, die von Anfang an zu positivem Feedback geführt haben. Es passiert ja nicht häufig, dass Jugendliche sich selbst organisieren und solche Projekte aufbauen. Also: In unserem Umfeld und auch darüber hinaus gab es immer viel positives Feedback. Auch von linken Gruppen, deren Mitglieder an unseren Brigaden teilgenommen haben. Aber wir sind ja auch keine politische Reisegruppe, sondern bereiten die Leute vor, z.B. mit Spanischkursen oder Kursen zur politischen Situation in den Ländern, d.h. die Leute nehmen auch etwas mit. Uns war es dabei aber immer wichtig auch Widersprüche auszuhalten, wenn Kritik kam. Da wir eben immer mit den Basisorganisationen zusammengearbeitet hatten, die stets auch ein kritisches Verhältnis zur Regierung und zum Staat hatten, und nicht direkt mit dem venezolanischen Staat, oder der regierenden sozialistischen Partei, betraf uns Kritik an Chavez‘ Regierung nie unmittelbar in der politischen Arbeit. Tatsächlich müssen wir den damaligen Kritikern von Chavez‘ Regierung nach heutigem Stand in einigen Punkten Recht geben.
Jan [LCM]: Ihr wart da in Venezuela ja sehr lange dran. Beschreibt doch mal kurz warum ihr den von Chavez angestoßenen Prozess unterstützt habt und wie ihr zur heutigen Situation des Landes unter Nikolás Maduro steht. Wie hat sich das Projekt über die Jahre entwickelt?
Malte [Interbrigadas]: Wir finden, man kann da nicht einfach eine Schablone drauflegen, denn der Prozess ist heute an einem ganz anderen Stand als vor 10 Jahren. Die Soli-Bewegung war zu der Zeit als wir anfingen winzig, was natürlich mit der Situation der Linken weltweit, insbesondere in Deutschland zusammenhängt. Was wir da gemacht haben war also im Prinzip Feldforschung: Unser Bewusstsein hat sich mit und in dem Prozess verändert. Der Erkenntnisprozess war so für uns mit unseren Erfahrungen mit dem Bolivarischen Prozess vor Ort unmittelbar verbunden. Die Schwierigkeiten des Prozesses sind uns daher heute viel klarer: Venezuela hat kaum Landwirtschaft und keine diversifizierte Industrie. Es lebt seit fast 100 Jahren vom Erdöl. Dazu verweigerten die traditionellen Eliten jede Unterstützung für einen Industrialisierungsprozess unter der neuen Regierung. Dieser Fakt brachte die Chavez-Regierung von Anfang an in die Bredouille, denn sie musste dem Volk eine ökonomische Perspektive bieten. Sie musste sich zwangsläufig mit den alten Eliten arrangieren. Es war also keine Revolution, was da stattfand, sondern ein wechselhafter Prozess unter äußerst schwierigen Bedingungen. Super fanden wir von Anfang an die Basismobilisierung und Organisierung von unten; dass die Politik im Alltag der Menschen präsent war. Unter Chavez hatte man außerdem noch den Eindruck, dass versucht wurde, Widersprüche zu verarbeiten. Da es z.B. keine funktionellen Institutionen gab, die den Prozess von staatlicher Seite aus begleiten konnten, wurde unter Chavez ein faktischer Parallelstaat aufgebaut, um z.B. die Armutsprogramme vorantreiben zu können, der sich mit der Zeit aufblähte. Dieser Parallelstaat stützte sich aber vor allem auf Einnahmen aus dem Erdölgeschäft, wo wir schon beim Dilemma wären, denn er hat es nie geschafft sich davon zu emanzipieren. Es gab einige Widersprüche, z.B.: Um die Nahrungsmittel der staatlichen Supermärkte zu subventionieren, gab es einen verbilligten Wechselkurs für Importe von bestimmten Gütern, wie z.B. Nahrungsmitteln – am Import jedoch hat sich der Privatsektor eine goldene Nase verdient, teilweise mit haarsträubenden Betrugspraktiken. Aktuell leidet die venezolanische Bevölkerung an Unterversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, Medizin, etc. Unsere Kritik zu diesem Punkt ist, dass die Regierung nie versucht hat, die dahinter liegenden Strukturen und das Währungssystem zu verändern und alles mit der Flut von Erdöldollars lösen wollte. Kurz gesagt: Maduro redet heute von einem Wirtschaftskrieg gegen das Land und kaschiert damit die hausgemachten strukturellen Probleme, macht also Politik gegen das Volk. Das ist der Grund, warum wir die derzeitige Regierung und Wirtschaftsform kritisieren. Zu diesen Erkenntnissen sind wir erst über eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Ökonomie Venezuelas gekommen, als die Probleme in der noch anhaltenden Krise offen zu Tage traten.
Jan [LCM]: In Lateinamerika kommen in den vergangenen Jahren erneut neoliberale Regierungen an die Macht – der einstige Linkstrend scheint zu einem Ende gekommen zu sein, viele Linke sprechen von einem Rechtsruck. Wie bewertest du, auch aus der Perspektive eurer Arbeit die Entwicklung in Lateinamerika? Welchen Einfluss hat die Entwicklung auf eure Solidaritätsarbeit?
Malte [Interbrigadas]: Was du beschreibst, findet statt. Ich halte aber von der Idee hinter dem Begriff Rechtsruck nichts. Es kommt in einem Land nicht zu einem Rechtsruck, nur weil in einem anderen Land ein Rechtsruck geschieht. Der Kontext in den verschiedenen Ländern ist sehr unterschiedlich, d.h. in jedem Staat spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die berücksichtigt werden müssen. In Venezuela z.B. gibt es keinen rechten Putsch, sondern eine beschissene Wirtschaftspolitik. Dieses Rechtsruck-Argument wird von vielen Leuten schnell gebraucht, um eine angebliche Verschwörung und Intervention von außen allein schuldig zu machen. Die imperialistische Politik ist natürlich da, denn die USA deklariert Lateinamerika nach wie vor als ihren Hinterhof. Die Wirklichkeit ist aber komplexer, weshalb die landesinternen Faktoren aus meiner Sicht mehr betont und verstanden werden müssen. Aus den bereits genannten Gründen sind wir momentan in Venezuela nicht mehr aktiv. Es gäbe auch unter den derzeitigen Verhältnissen für uns gar nicht die Möglichkeit, unsere Arbeit fortzusetzen. Da spricht allein schon die sich verschlimmernde Sicherheitslage dagegen, die uns schon damals öfter einschränkte.
Jan [LCM]: Welche Projekte, die ihr in Venezuela begleitet habt, können aus eurer Sicht Vorbild für fortschrittliche Organisierungsansätze in den Kämpfen in Deutschland sein?
Malte [Interbrigadas]: Das ist schwierig, denn Modelle von einem Land aufs Andere zu übertragen ist tückisch. Die Linke in Venezuela bezieht sich im Prinzip auf ähnliche Konzepte wie die deutsche Linke, passt diese aber natürlich an Venezuela und Lateinamerika an. Die Frage müsste daher eher sein: Wie können wir die Kämpfe verbinden? Für den deutschen Kontext können wir keine Antworten woanders finden. Polemisch gesagt gab es da einige Beispiele, wo das nach hinten los ging, z.B. die Adaption des Stadtguerilla-Konzepts durch die RAF. Internationalismus muss daher aus meiner Sicht ein politisches Konzept sein, das regionale Unterschiede berücksichtigt, aber versucht verschiedene Kämpfe unter einen Hut zu bringen, um sich gegenseitig zu stärken. Internationalismus ist die Strategie, über Grenzen hinweg Antworten auf soziale Probleme zu finden, die selbst so stark wie nie zuvor global strukturiert sind.
Jan [LCM]: Ihr arbeitet gerade mit der andalusischen Basis-Gewerkschaft Sindicato Andaluz de Trabajadores/as – SAT zusammen. Kannst du uns mehr dazu erzählen?
Malte [Interbrigadas]: Vorab: Wir haben nicht mit dem Konzept gebrochen, das wir in Venezuela fuhren, sondern fahren das weiterhin. D.h. Politisierung und praktische Solidaritätsarbeit sind weiterhin Kern der Sache. Der Link zu den Kämpfen in Andalusien kam dann auch über Lateinamerika. Wir hörten das erste Mal etwas aus Andalusien, als wir eine venezolanische Gemeinde besuchten, in der die spanischen GenossInnen halfen, eine Kooperative beim Gemüseanbau zu unterstützen. 2013 waren wir dann das erste Mal in Andalusien, um die Gewerkschaft kennen zu lernen. Damit fing alles an. Die SAT ist eine Basisgewerkschaft, die historisch aus Kämpfen der LandarbeiterInnenschaft erwachsen ist. Im Agrarsektor finden sich vor allem TagelöhnerInnen aus afrikanischen Staaten, die meisten davon aus Marokko. Diese Menschen leben unter elendsten Bedingungen. Sie wohnen oft ausgegrenzt vom Rest der Gesellschaft unter selbst gebauten Hütten aus den Paletten und Plastikplanen der Gewächshäuser. Viele von ihnen haben in ihrer Heimat unter besseren Bedingungen gelebt. Das treffende Stichwort wäre hier: 4.Welt. Die AktivistInnen der SAT gehen auf jeden Fall zu den ArbeiterInnen und versuchen sie über ihre Rechte aufzuklären, sie bei vereinzelten Besetzungen zu unterstützen, ihnen Sprachkurse anzubieten, etc. Dabei ist die Ausgangssituation jeweils unterschiedlich. Während im Osten Andalusiens Kleinunternehmer unter großem Konkurrenzdruck vorherrschen, ist es im Westen der Großgrundbesitz. Das beeinflusst natürlich auch die Kämpfe. Viele Vorurteile gegenüber traditionell etablierten Gewerkschaften treffen auf die SAT nicht zu. Ihre wenigen SprecherInnen kommen aus der ArbeiterInnenschaft, sie haben keinen bürokratischen Apparat, eine eigene Wahlplattform und ihre direkten Aktionen reichen von Landbesetzungen bis zu solidarischen Umverteilungen von Waren aus Supermärkten. Deshalb sitzen aber auch viele im Knast und die SAT ist mit rund einer Million Euro verschuldet. Solche Akteure sind natürlich starken Repressionen ausgesetzt und sind auf internationale Solidarität angewiesen. Wir fahren im März 2017 das nächste Mal nach Andalusien, diesmal nach Almeria, um unsere Kooperation auszubauen und planen im Herbst schon die nächste Brigade. Wer sich solidarisch zeigen möchte, kann sich auf unserer Website auf dem Laufenden halten und über Mitwirkungsmöglichkeiten – vielleicht sogar als BrigadistIn – informieren.
Jan [LCM]: Danke für das Interview und weiter viel Erfolg!