Live-Interview mit Ronny, einem der BesetzerInnen der Englischen Straße 20.
Vor wenigen Minuten wurde in Berlin-Mitte in der Englischen Straße 20 ein geräumiges Gebäude besetzt, das früher der TU als Hörsaal diente und seit über 5 Jahren leer stand. Die BesetzerInnen im Haus wollen ein „soziales Zentrum für alle“ errichten, in dem zunächst Räumlichkeiten für Flüchtlinge eingerichtet werden sollen. Wir haben unmittelbar nach der Besetzung mit den AktivistInnen im Haus gesprochen. Hier das Interview:
Ihr seid hier rein mit dem Anspruch, Räumlichkeiten für Flüchtlinge zu schaffen, die zugleich Basis eines sozialen Zentrums sein sollen. Wie ist es zu der Idee gekommen?
Wir haben in den vergangenen Wochen viel Zeit auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle vor der Berliner LaGeSo verbracht, zusammen mit einigen unserer Genossen, die selbst hier hin geflohen sind. Die haben uns eines Tages darauf angesprochen, warum die radikale Linke in der Stadt nicht mit eigenen Mitteln in die Situation eingreift, die vor dem LaGeSo entstanden ist. Dort hat der Staat ja aller medial inszenierter Willkommenskultur zum Trotz eine Lage geschaffen, in der nicht nur permanente Unterversorgung besteht, sondern auch jeden Abend Menschen in die Obdachlosigkeit oder in ungeeignete Scheissquartiere gezwungen werden. Da haben Familien mit kranken Kindern in Parks geschlafen, nachdem die Security sie abends vom Gelände vertrieben hat.
Die ganze Zeit haben dort allein ehrenamtliche HelferInnen dafür gesorgt, dass nicht alles noch schlimmer ist, als es ohnehin schon ist. Wir haben dann mit einigen Genossen diskutiert, die selbst Refugees sind, und man muss sagen, dass sie uns wirklich an unsere Maßstäbe erinnern mussten. Als einmal eine Antifa-Demo an der LaGeSo vorbeilief, haben sich die Geflüchteten total gefreut. Am nächsten Tag haben uns dann alle gefragt: Und das war´s jetzt, oder wie? Kurz: Wir brauchten eine Idee, die eine politische und nicht bloß humanitäre Antwort auf die Situation gab.
Zuerst haben wir überlegt, direkt auf dem LaGeSo das leerstehende Haus D anzueignen. Das war aber aus verschiedenen Gründen ungeeignet. Dann haben wir ein wenig gesucht und dieses hübsche Ding gefunden, in dem wir gerade sitzen.
Sagen wir mal rein hypothetisch: Die Bullen prügeln euch in den nächsten zwei Stunden hier nicht raus. Wie soll das Ding dann weitergehen? Wie soll das „soziale Zentrum für alle“ am Ende aussehen?
Wir haben in zwei Phasen geplant. Gerade befinden wir uns in der ersten. Wir wollen unsere Anliegen erklären, medialen Druck aufbauen und erreichen, dass man mit uns verhandelt. Wir haben ein ausgearbeitetes Konzept und wir denken, was wir tun, ist legitim und muss jetzt getan werden. Sollten wir es schaffen, in den nächsten Stunden einen so großen Support für die Aktion zu kreieren, dass wir am Ende hier geduldet werden und uns an die Arbeit machen können, beginnt die zweite Phase.
Dann wird es so aussehen: wir haben einen Grundstock an eigenen Strukturen, die gewährleisten, dass wir anfangen können, dieses Ding hier nach unseren Vorstellungen umgestalten zu können. Aber vor allem vertrauen wir auf die Dynamiken jener Menschen, die jetzt erkannt haben, wie dieser Staat, wie die Europäische Union mit Flüchtlingen umgeht. Wir rufen also dazu auf, Dinge, die wir brauchen, vorbeizubringen und sich in das Projekt einzubringen: Bettgestelle, Matratzen, Kleidung. Wir brauchen auch noch Menschen mit handwerklichen Fähigkeiten und vieles mehr. Mit diesen Menschen zusammen wollen wir dann in wenigen Tagen die Infrastruktur so ausbauen, dass wir in der Lage sind, Refugees einen sicheren und angenehmen Ort zu bieten.
Neben den Schlafplätzen wollen wir Räumlichkeiten für Sport, zum Diskutieren, Beratung, Übersetzung und so weiter, also eine Atmosphäre, in der man nicht wie in einem Käfig wartet, sondern in der soziale Beziehungen, vielleicht auch politische Projekte entstehen können. Wir wollen deshalb auch intensiv mit den kämpfenden Flüchtlingen zusammenarbeiten, denen man in Berlin durch die Räumung des O-Platzes und der Schule jeden Raum genommen hat.
Eigentlich müsstet ihr ja gute Ausgangsbedingungen haben. Deutschland gibt sich so flüchtlingsfreundlich wie nie zuvor …
Wir sind ja nicht so blauäugig, diese PR-Kampagne ernst zu nehmen. Sie ist ja nur in einem Punkt ernst gemeint: Das deutsche Kapital würde sich gerne im Billiglohnsektor wie im Bereich der gut ausgebildeten Fachkräfte einen neuen Pool an Arbeitskraft erschließen. „Refugees welcome“ heißt hier: Refugees welcome – solange wir sie verwerten können. Diese Kampagne zur Aufbesserung des durch Brandanschläge und Lynchmobs angeschlagenen Images Deutschlands, bei der wir dann Bullen beklatschen dürfen, weil sie Flüchtlingskinder streicheln, hat ja mit uns nichts zu tun.
Sehen wir mal vom Beitrag des deutschen Imperialismus zu den Fluchtgründen – sei es durch Waffenlieferungen, direkte militärische Interventionen wie in Afghanistan oder Jugoslawien oder durch die Unterstützung von Regimes wie dem in Saudi-Arabien – ab. Selbst für die auf der Flucht hält Deutschland nicht viel Gutes bereit: Die „Festung Europa“ mit ihren mörderischen Außengrenzen haben deutsche Regierungen mitgebaut, die Asylgesetzgebung wird ständig verschärft, nach der letzten Reform des Bleiberechts auch nochmal vergangene Woche. Man feierte sich, weil man jetzt sechs Milliarden mehr „für Flüchtlinge ausgeben“ will – ohnehin nur die Summe, die unbedingt im Eigeninteresse nötig ist, um völliges Chaos zu vermeiden. Gleichzeitig aber erklärt man weitere Länder zu „sicheren Herkunftsstaaten“, will Abschiebungen beschleunigen, Geldleistungen in Sachleistungen umwandeln und so weiter.
Dennoch: Als Nebeneffekt hat diese PR-Kampagne in Teilen der Bevölkerung eine ehrliche und gute Stimmung geschaffen, Menschen, die auf der Flucht vor Elend und Krieg hier gestrandet sind, helfen zu wollen. Diese im Moment noch rein humanitäre Stimmung wollen wir auch aufgreifen und ihr eine politische Perspektive geben. Denn wer zu sich selbst halbwegs ehrlich ist, weiß auch, dass es Fluchtbewegungen geben wird, solange es den Kapitalismus gibt. Wer also wirklich was tun will, muss mitbasteln am Aufbau von Gegenmacht, die zur Keimzelle einer neuen Form von Gesellschaft werden kann. Auch das soll in dem sozialen Zentrum geschehen, sofern es nicht gleich an der Tür klopft und irgendwelche Befehlsempfänger uns bei unserem Plausch stören.
Letzte Frage, da ihr ja sicher noch etwas besseres zu tun habt, als hier Interviews zu geben: Wie können euch die Leute, die das jetzt lesen, unterstützen?
Da dieses Interview ja quasi in Realtime entsteht, sitzen wir grade in der Englischen Straße 20. Da gibt´s eine Dauerkundgebung. Erstmal brauchen wir euren physischen Support. Kommt vorbei, macht Lärm, helft uns hier drin bleiben zu können. Diejenigen, die nicht kommen können, sorgen am besten dafür, dass das Projekt in den sozialen Medien Verbreitung finden. Sobald wir uns durchgesetzt haben, brauchen wir euch aber alle. Eure Ideen, eure Fertigkeiten und eure Bettgestelle.
Infos zu dem Projekt gibts auf Twitter unter:
twitter.com/socialcentr4all
und
http://socialcenter4all.blackblogs.org