Griechenland am Scheideweg

2. Juli 2015

In Griechenland werden dieser Tage die Weichen gestellt: Fortsetzung der Austerität oder Widerstand?

Die Linke in ganz Europa schaute in den vergangenen Monaten gebannt auf die Verhandlungen zwischen der seit dem 27. Januar mit der rechten ANEL in einer Koalition regierenden links-sozialdemokratischen SYRIZA-Partei einerseits, und den Institutionen der Troika (EZB, IWF, Europäische Kommission) andererseits. Schon vor der Wahl war mit SYRIZA und ähnlich gearteten Parteien die Hoffnung verbunden worden, dass die Austeritätspolitik und die durch diese entstandenen sozialen Verheerungen in Griechenland ein Ende finden und sich ein nennenswerter Widerstand gegen die europäische Krisenverwaltungspolitik artikulieren würde. Nicht zuletzt hofften verschiedene linke Kräfte auf eine europaweite Stärkung ähnlich gelagerter Kräfte im bislang weitgehend von verschärfter Armutspolitik verschonten Zentrum Europas. So schrieb die außerparlamentarische ,,Interventionistische Linke (iL)“ in einem Papier kurz vor der Wahl in Griechenland, dass sie ,,von SYRIZA (und Podemos) als dem Beginn eines europäischen Frühlings sprechen“ wolle. Ähnlich äußerte sich die parlamentarische Linke und ihre europaweite Organisation ,,Europäische Linke“, die sich mit dem Wahlsieg von SYRIZA ,,Chancen für einen demokratischen Aufbruch und einen grundlegenden Richtungswechsel der Europäischen Union“ erhofft. SYRIZA wurde bei den genannten Beispielen, aber auch bis in die radikale Linke hinein eine Art Vorreiterrolle für eine potentiell antikapitalistische Perspektive in Europa zugeschrieben.

Druck von innen und außen

Bereits vor der Wahl war jedoch absehbar, dass führende Teile von SYRIZA programmatisch aufgrund ihres Standpunktes, um den Verbleib in der Eurozone kämpfen zu wollen und die Schulden bzw. die damit verbundenen Austeritätsauflagen lediglich neu zu verhandeln, nicht auf einen radikalen Bruch mit der europäischen Krisenverwaltungspolitik hinarbeiten würden. Was sich schon vor der Wahl anbahnte, wurde in den vergangenen Monaten Realität: Die Strategie der griechischen Regierung war es in erster Linie, den Drahtseilakt zwischen den Forderungen der sozialen Bewegungen,

Und tschüss. Die beiden behelmten Herren dürfen auch gleich mitgehen

Und tschüss, Währungsfonds! Die beiden behelmten Herren dürfen auch gleich mitgehen

d.h. eines nicht unerheblichen Teils ihres Wählerpotentials im Land, und den Forderungen der internationalen und nationalen Eliten zu begehen. Hinzu kam, dass die Troika seit dem Regierungsantritt SYRIZAs im Februar 7,2 Milliarden Euro an Hilfsgeldern als Druckmittel zurückgehalten hatte, deren Auszahlung sie in den Verhandlungen der vergangenen Monate an die Fortsetzung der Austeritätspolitik band. Durch diese interne und externe Drucksituation war SYRIZA gezwungen einen Kurs zu fahren, der nahezu zwangsläufig widersprüchliche Resultate zeitigen musste. So wurden einerseits beispielsweise Maßnahmen wie die Wiedereinstellung von 15.000 Staatsbediensteten und die Wiedereröffnung des staatlichen Fernsehsenders ERT getroffen, gegen dessen Schließung im Jahre 2013 es massiven außerparlamentarischen Widerstand gab. Auf der anderen Seite standen Kompromisse bis Niederlagen auf dem Verhandlungsparkett mit der Troika. Der sogenannte ,,Schuldenschnitt“ – eine zentrale Wahlparole der Partei – war bereits im Februar vom Tisch – die seitdem von der Regierung ,,Institutionen“ genannte Troika war wieder im Land und im Rang eines ebenbürtigen Verhandlungspartners.

Desillusionierung

Insbesondere letztere Maßnahme folgt konsequent aus einer Haltung, die die nationale und internationale Bourgeoisie nicht angehen, sondern lediglich neue Abmachungen mit den jeweiligen Akteuren treffen will. Diese Tatsache, die sich im Grunde genommen bereits lange vor der Wahl abgezeichnet hatte, führte bereits einen Monat nach der Machtübernahme zu einer Desillusionierung der radikaleren Teile der Partei. So sprach der Parteilinke und ehemalige Widerstandskämpfer Manolis Glezos davon dass die „Umbenennung der Troika in ,Institutionen‘, die Memoranden in ,Vereinbarungen‘ und die Kreditgeber in ,Partner‘ die vorangegangene Situation nicht weiter verändert als lediglich eine Umbenennung von Fisch in Fleisch“ zur Folge habe. Glezos sprach hier offen das aus, was viele Anhänger des linken Parteiflügels bereits kurz nach der Machtübernahme der neuen Regierung dachten. Die Unzufriedenheit radikalerer Teile in SYRIZA mit dem Schlingerkurs dem Parteiflügel um Tsipras dürfte sich seitdem nur gesteigert haben. Erst im Mai noch kam es unter dem Druck der Schuldenrückzahlung von 1,5 Milliarden Euro an den IWF zu einer Kampfabstimmung innerhalb der Partei, in der die Linke forderte, eben jene Rückzahlungen auszusetzen und griechische Banken schrittweise zu verstaatlichen. Die bereits dort ausgedrückte Perspektive eines Grexit gilt innerhalb der Parteilinken von SYRIZA

Die Dame bitte nicht vergessen!

Die Dame bitte nicht vergessen!

schon länger als die einzige gangbare Alternative zu weiteren Memoranden: ,,Die zentrale Frage für unsere Klasse sollte sein: Die Fortführung der Austeritätspolitik zurückweisen oder sie unter anderem Vorzeichen fortführen?“ sagt Vasilis Morellas, Mitglied in der marxistischen Strömung DEA, und seit der Gründung SYRIZAs 2004 aktiv im linken Flügel der Partei. Sollten zentrale Punkte der Wahlkampfversprechen SYRIZAs, z.B. jener nach der Besteuerung von Vermögen und der (Wieder-)Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und der griechischen Banken, umgesetzt werden, sei ein Grexit möglich. Es wäre dann ,,nichts wovor die Menschen in Griechenland Angst haben müssten. Der Grexit würde dann eine umgehende Verbesserung der allgemeinen Situation zeitigen und eine europaweite Alternative mit Strahlkraft darstellen“. Das Ergebnis der Abstimmung im Mai ist bekannt: Die Parteilinke unterlag, wenn auch nur knapp. Die Konsequenz war, dass sich die griechische Regierung unter dem Druck der Rückzahlungen in den vergangenen Verhandlungswochen mit einem Vorschlagkatalog der Troika angedient hat, der bereits als Grundlage für eine mögliche Einigung mit der Troika Maßnahmen vorgesehen hätte, die einer Fortsetzung der Austeritätspolitik gleichgekommen wären. Darin waren neben populären Maßnahmen wie der Besteuerung von Vermögen u.a. auch Rahmenbedingungen für weitere Privatisierungen von Häfen und Flughäfen, aber auch eine Erhöhung von Gesundheitsbeiträgen auf Pensionen oder die Verschärfung von Mehrwertsteuersätzen. Die Vorschläge wurden von der Troika als Diskussionsgrundlage jedoch bereits nach kurzer Verhandlungszeit als unzureichend zurückgewiesen.

Grexit als Chance

Bis zuletzt hatten die Strategen der Troika und der Regierung Tsipras gepokert, dass eine der beiden Seiten zum Schluss nachgeben würde. Denn gerade für die europäischen Kernländer steht im Falle einer Staatspleite Griechenlands und einem möglichen Grexit einiges auf dem Spiel: Auf der politischen Ebene wäre ein Grexit eine politische Niederlage für die europäischen Kernländer. Der Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone würde eine Fanalwirkung auf andere, von Kürzungs- und Krisenverwaltungspolitiken betroffene Länder wie Spanien, Italien und Irland haben und diese in ihrer Verhandlungsposition bestärken; die vor allem von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik wäre keine T.I.N.A. (,,There is no alternative“) mehr. Einhergehen könnte ein Grexit auch mit einer Umorientierung in der Außenpolitik Griechenlands. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich etwa kürzlich besorgt über einen Austritt

So siehts aus

So siehts aus…

Griechenlands aus der Euro-Zone, der auch zu einem Austritt aus der NATO führen könnte. Das wäre ein Horrorszenario für führende NATO-Strategen, die gerade in ihrer Osteuropa-Politik auf eine mal offenere mal verstecktere Verdrängung des russischen Einflusses setzen. Schon ein Austritt aus der Euro-Zone würde vermutlich eine Umorientierung der griechischen Handelsbeziehungen in Richtung der BRICS bedeuten, ein NATO-Austritt könnte auch eine für die NATO-Generäle sehr unerfreuliche außenpolitische Verschiebung zugunsten Russlands zeitigen. Ob mit dem Austritt aus der Eurozone auch eine politische Reorganisierung der griechischen Politik, etwa in Sachen NATO- und EU-Austritt, einhergeht, bleibt derzeit allerdings Spekulation.

Nach dem Scheitern der letzten Verhandlungsrunden und dem Auslaufen der Deadline für griechische Schuldenrückzahlungen am 30. Juni ruft die griechische Regierung für das kommende Wochenende nun also zu einem Referendum auf. Auf den bereits veröffentlichten Stimmzetteln ist darüber abzustimmen ob „(…) die geplante Vereinbarung von EZB, EU-Kommission und IWF, die am 25.6.2015 in die Euro-Gruppe eingebracht wurde und aus zwei Teilen besteht, angenommen werden“ soll. Dieser Zug ist für die Tsipras-Regierung eine Frage des Überlebens geworden, da ein von der Bevölkerung nicht legitimiertes Einknicken vor den Forderungen der Troika das langfristige politische Ende SYRIZAs besiegelt hätte. Im Falle eines positiven Votumsergebnisses hätte SYRIZA im schlimmsten Fall die populäre Legitimation zum Einknicken vor der Troika und würde endgültig zum sozialdemokratischen Statthalter in Athen korrumpieren. Auf der anderen Seite könnte die Regierung im besten Fall den positiven Ausgang des Referendums nutzen, um einen Rücktritt zu legitimieren, was ihr bei der eigenen Anhängerschaft keinen Popularitätsverlust einbringen würde. Im Falle eines negativen Ausfalls hätte die SYRIZA-Regierung dahingegen eine populäre Legitimation für die Grexit-Option und könnte diesen als dem Volkswillen entsprechend verkaufen, was etwaige kritische Stimmen des innenpolitischen neoliberalen politischen Gegners bereits im Vorfeld zum Verstummen bringen und mögliche Unruhen abmildern könnte. In letzterem Falle hätte SYRIZA ungewollt nicht nur das Gegenteil von dem erreicht, womit die Partei zur Wahl angetreten war: Eine nachhaltige Delegitimierung der Troika und der EU in der Bevölkerung. Auch würde diese Option einen radikal linken Schwenk hin zu den Forderungen der Parteilinken, bis hin zu Positionen der griechischen Kommunistischen Partei (KKE) bedeuten. Die KKE-Führung selbst hingegen misstraut der Tsipras-Regierung weiterhin und ruft zum Boykott des Referendums auf, da sie dieses für eine zynische Finte hält, um den Verbleib in der Eurozone zu legitimieren und neue Memoranden abzusegnen. Die kommende Woche wird zeigen, welche Perspektive auf das Referendum Recht behalten wird.

– Von Jan Schwab

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